Erstes Buch: Die Wächter der Elemente
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Erstes Buch: Die Wächter der Elemente
Daten
Umfang: 433 Normseiten
Status: Veröffentlicht
Preis: EUR 3.99 auf Amazon
Zusammenfassung
Im ersten Buch werden die Hauptcharaktere vorgestellt, die aus verschiedene Beweggründe in die Geschichte verwickelt werden und man erfährt über eine Bedrohung, welche die Welt der Menschen gefährdet.
Bereth ist ein junger Mann, dessen Ahnen ihm das Blut vier verschiedener Völker verleiht haben. Dieses Blut prägt ebenfalls sein Aussehen, weshalb ihn die Menschen in seiner Heimat meiden. Nachdem Vorfälle ihn dazu zwingen seine Heimat zu verlassen, verfolgt er Hinweise eines seltsamen Traumes, den ihn heimgesucht hatte. In diesem schicken ihn Wesen, die sich die Wächter der Elemente nennen, auf eine Reise voller Prüfungen, damit er gewappnet sei auf die Mächte, welche die Welt bedrohen.
Marek ist ein einsamer Söldner, der ohne großes Ziel durch die Welt reist von einem Schlachtfeld zum nächsten. Als er davon hört, dass den Menschen feindlich gesinnte Kreaturen sich im Lande Larsenor sammeln, entscheidet er in dieses Land zu reisen, wo sich ein weiterer Krieg anbahnt. Er ahnt jedoch nicht, dass er dadurch wieder mit seiner dunklen Vergangenheit konfrontiert wird.
Gatera ist der Kommandant der Streitmacht von Drachensfeld, einem Königreich von Larsenor. Nachdem Gerüchte eintreffen, dass sich Monster auf einem Berg im Norden des Landes sammeln würden, fällt er die schwere Entscheidung, die gefährliche Reise selbst anzutreten, mit einem kleinen Spähtrupp zu dem Berg zu reisen, um zu erfahren, was es sich mit den Gerüchten auf sich hat.
Klimar ist ein junger Jäger von Drachensfeld, der verzweifelt versucht in die Fußstapfen seines verstorbenen Vaters zu treten. Doch gelingt es ihm nicht, für sich und seine erkrankte Mutter zu sorgen. Er entscheidet dem Rekrutierungswahn der königlichen Streitmacht zu folgen und seine Fähigkeiten mit Pfeil und Bogen anders zu nutzen. Doch neben diesen Fähigkeiten scheint der junge Mann nicht für die Schrecken eines Krieges vorbereitet zu sein.
Umfang: 433 Normseiten
Status: Veröffentlicht
Preis: EUR 3.99 auf Amazon
Zusammenfassung
Im ersten Buch werden die Hauptcharaktere vorgestellt, die aus verschiedene Beweggründe in die Geschichte verwickelt werden und man erfährt über eine Bedrohung, welche die Welt der Menschen gefährdet.
Bereth ist ein junger Mann, dessen Ahnen ihm das Blut vier verschiedener Völker verleiht haben. Dieses Blut prägt ebenfalls sein Aussehen, weshalb ihn die Menschen in seiner Heimat meiden. Nachdem Vorfälle ihn dazu zwingen seine Heimat zu verlassen, verfolgt er Hinweise eines seltsamen Traumes, den ihn heimgesucht hatte. In diesem schicken ihn Wesen, die sich die Wächter der Elemente nennen, auf eine Reise voller Prüfungen, damit er gewappnet sei auf die Mächte, welche die Welt bedrohen.
Marek ist ein einsamer Söldner, der ohne großes Ziel durch die Welt reist von einem Schlachtfeld zum nächsten. Als er davon hört, dass den Menschen feindlich gesinnte Kreaturen sich im Lande Larsenor sammeln, entscheidet er in dieses Land zu reisen, wo sich ein weiterer Krieg anbahnt. Er ahnt jedoch nicht, dass er dadurch wieder mit seiner dunklen Vergangenheit konfrontiert wird.
Gatera ist der Kommandant der Streitmacht von Drachensfeld, einem Königreich von Larsenor. Nachdem Gerüchte eintreffen, dass sich Monster auf einem Berg im Norden des Landes sammeln würden, fällt er die schwere Entscheidung, die gefährliche Reise selbst anzutreten, mit einem kleinen Spähtrupp zu dem Berg zu reisen, um zu erfahren, was es sich mit den Gerüchten auf sich hat.
Klimar ist ein junger Jäger von Drachensfeld, der verzweifelt versucht in die Fußstapfen seines verstorbenen Vaters zu treten. Doch gelingt es ihm nicht, für sich und seine erkrankte Mutter zu sorgen. Er entscheidet dem Rekrutierungswahn der königlichen Streitmacht zu folgen und seine Fähigkeiten mit Pfeil und Bogen anders zu nutzen. Doch neben diesen Fähigkeiten scheint der junge Mann nicht für die Schrecken eines Krieges vorbereitet zu sein.
Re: Erstes Buch: Die Wächter der Elemente
Leseprobe 1:
Prolog: Der Söldner
Die untergehende Abendsonne stand grell am Horizont und warf ein gelbliches Licht auf das von Dürre gezeichnete Land. Gräser und Kräuter waren braun und über weite Felder vegetierte unfruchtbare Ernte dahin. Auf einem von der Trockenheit gezeichneten schmalen Pfad, der von blattlosem Geäst gesäumt wurde, trottete ein einsamer, bewaffneter Reiter auf seinem Fuchs dahin. Von seiner langen Reise durch dieses öde Land erschöpft, hoffte er, bald auf eine Siedlung zu treffen.
Die Sonne versank schließlich gänzlich hinter dem Horizont und überließ Mond und Sternen das Feld. Das schwache Leuchten der schmalen Sichel ließ die weißen Verzierungen der rabenschwarze Rüstung des Reiters bläulich schimmern. Während das grimmige Gesicht für keine Gefühlsregungen geeignet schien, zeichnete sich auf der Stirn eine beeindruckende tiefe Narbe ab. Es war nur eine von vielen an dem von unzähligen Kämpfen geschundenen Körper. Seine Haare trug er offen, bis weit über die Schultern, sodass sie im Abendwind wehten. Ein schwarzer, wappenloser Umhang verhüllte die Statur und am Waffengurt hing die Scheide für das Breitschwert.
Das Pferd, ein kräftiger und großer Hengst, trabte stolz durch die Finsternis, als sich vor Ross und Reiter hinter einer Anhöhe ein heller Schein am Himmel abzeichnete. Es musste ein Dorf sein und so gab er seinem Ross die Sporen. Auf dem Hügel angelangt, blickte er entsetzt auf die hellerleuchteten Flecken nieder. Die schemenhaft zu erkennenden einfachen Holzhütten mit ihren Strohdächern standen allesamt in Flammen. Der Rauch, der aus den brennenden Häusern hervorquoll, sammelte sich zu einer riesigen, schwarzen Wolke, die am dunklen Nachthimmel sich nur schwach abzeichnete. Unüberhörbar ertönten immer wieder Kampflaute, deren Ursprung man aus der Ferne nur erschwer erahnen konnte.
Obwohl im Kämpfen geübt, wäre es zu diesem Zeitpunkt töricht gewesen, sich in das Dorf zu wagen und eine Schlacht gegen einen unbekannten Feind zu führen. Er war geschwächt von einer langen, beschwerlichen Reise mit wenig Nahrung und noch weniger Wasser. Außerdem war er Söldner. Er zog sein Schwert in der Regel nur für eine Gegenleistung. Für die wenigen Lebensmittel, die den Brand mit etwas Glück überstehen würden, lohnte sich das Kämpfen wohl kaum. Doch andererseits, wann würde er in dieser trost- und wasserlosen Gegend, das nächste Lebenszeichen antreffen? Unentschlossen blickte er eine ganze Weile auf das Flammenmeer, welches sich immer weiter ausbreitete. Plötzlich sah er eine Gestalt den Hang erklimmen. Er verfluchte sein Zögern. Im Mondenschein war er mit seiner Rüstung nicht gerade unauffällig und jemand musste ihn entdeckt haben. Schnell lag seine Hand auf dem Heft des Schwertes und er zog es geschwind, für den Fall, dass sein Gegenüber feindselige Absichten besitzen sollte. Auch die Stahlklinge schimmerte wie die Verzierungen der Rüstung im Mondlicht.
Bald schon aber erkannte er eine Frau, die etwas schwerfällig doch nicht minder ehrgeizig mit ihrem unhandlichen Kleid über die Felsvorsprünge zu ihm emporkroch. Keuchend erreichte Sie das Plateau. Das Schwert des Reiters glitt zurück in die Scheide. Dennoch war er gespannt und auf der Hut zugleich. Es konnte eine Arglist sein, ein Hinterhalt. Dann begann die Frau mit dem angesengten Kleid und dem rußverschmierten Gesicht Worte keuchend hervorzustoßen. Sie schnappte dabei immer wieder nach Luft.
»Bitte, helft uns!«, sprach sie flehend, während sie ihre Tränen mit den Händen vom Gesicht wischte und dabei ihre eingefallenen Wangen mit weiteren schwarzen Striemen versah.
»Bitte, bitte, helft uns!«, rief sie ihn verzweifelt an. Die Tränen kullerten weiter. »So helft uns doch! Seht nur unser Dorf. Es wird angegriffen. Seht die Flammen!«
»Ich sehe es«, antwortete er kühl und setzte hinzu: »Doch was könnt ihr mir bieten, gute Frau, wenn ich euch helfen soll?« Sie schien nicht recht zu verstehen und reagierte nicht. Doch es war ihm Ernst: »Ich bin Söldner. Ich mache fast jede Arbeit, solange die Bezahlung stimmt. Von Wohltaten alleine werde ich leider nicht satt, besonders in einer solchen Gegend!«
»Wir sind eine arme Gemeinschaft und die Dürre hat den größten Teil unserer Ernte zerstört«, stöhnte die Frau.
Doch wenn er etwas während seiner Arbeit gelernt hatte, dann war es, Mitgefühl für andere Leute Schicksale zu ignorieren und so machte er auch keinen Hehl aus diesem Umstand. Die Frau schien sein abweisendes Wesen langsam zu begreifen.
»Aber wenn ihr uns helft,« sagte sie schließlich, »diese Bestien zu vertreiben, dann werde ich alles bewegliche Hab und Gut zusammentragen, welches sich nach dem Brand noch finden lässt.«
Der Söldner hatte sich eher eine großzügige Mahlzeit vorgestellt und Vorräte für seine weitere Reise. Er sprach drum: »Versprecht mir sicheres Geleit durch euer Land und Vorräte für sieben Tage, so will ich sehen, was ich tun kann.«
Die Frau willigte mit einem eiligen Kopfnicken und einem erschöpften Murmeln der Worte „Gewiss mein guter Krieger, alles was ihr braucht!“ ein.
»Wer oder was greift euer Dorf an?«, fragte der Söldner, nun im Geiste schon mitten im Kampfe.
Sie berichtete von dem Überfall der Wolflinge, der sie alle im Ort überrascht hatte. Wolflinge, welche sonst die Trockenheit mieden, in unüberschaubarer Anzahl waren über sie hergefallen. Er nickte nur kurz, prüfte mit wenigen Handgriffen Zaumzeug, Sattel sowie Waffenrock und setzte sein Pferd in Bewegung.
»Bitte, helft auch meinem Mann, meiner Familie!«, rief sie ihm noch voller Verzweiflung nach.
Seufzend suchte er in der Dunkelheit, die nur von den Flammen der brennenden Gebäude erhellt wurde, eine Stelle, die sein Pferd ohne Wagnis hinabsteigen konnte, um zum Dorf zu gelangen. Der Hang war steil und gefährlich. Es dauerte eine Weile, bis er den schwierigsten Teil hinter sich hatte und auf eine flachere Ebene gelangte, die er bedenkenlos im zügigen Trab überqueren konnte. Aber das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine Verletzung seines Streitrosses.
Die ganze Sache gefiel ihm nicht. Wenn er die Zahl der Wolflinge ausfindig zu machen versuchte, musste er feststellen, dass es sich um zwei Dutzend oder eher noch mehr dieser tückischen Wesen handeln musste. Er war geschwächt und seine Gegner flink und hinterhältig. Bis jetzt hatte er noch nie gegen ein Rudel dieser Größe kämpfen müssen. Meistens griffen die kleinen Biester zu zweit oder dritt fahrende Händler und einsame Reisende auf kaum befahrenen, abgelegenen Straßen an, wenn sie sich überhaupt in die Reiche der Menschen wagten. Das Seltsamste aber war, dass sie grundsätzlich in feuchten Gebieten oder dichten Wäldern siedelten. Diese Gegend war für sie absolut untypisch.
Als er dem brennenden Dorf entgegenritt, erblickten ihn einige dieser gut einen Meter großen Wesen. Ihre Wolfsgesichter wankten sabbernd in seine Richtung. Einige leckten dabei verspielt ihre großen Schnauzen und ihre gelben Augen zuckten vergnügt im flackernden Schein der Flammen. Ihre ergrauten Felle hatten einen grünlichen und manchmal bläulichen Schein, den man trotz der Nacht und dem gelblichen Licht erkennen konnte, fast als hätten sie zu lange im warmen Wasser gebadet und dabei ihre Farben verloren. Die Mehrzahl der Raubtiere war bewaffnet mit Säbeln, Dolchen und kurzen, schmalen Messern, welche sie zu Dutzenden in ihren Gürteln trugen, die sie oberhalb ihres nackten, rattenähnlichen Schwanzes trugen. Ihre Oberkörper schützten sie durch einfache Lederwesten, von denen die meisten abgewetzt oder gar notdürftig geflickt waren.
Einer der Angreifer verzog seine Schnauze zu einem fiesen Lächeln, welches zugleich seine spitzen Zähne offenbarte, die mühelos rohes Fleisch zerreißen konnten. Er gab seinen Kriegern einen bellenden Befehl zum Angriff, der auch für den Söldner unmissverständlich war. Prompt warf einer sein Messer nach ihm, doch er war zu weit entfernt, um einen Treffer zu landen. Die anderen Wolflinge spurteten mit gezückten Säbeln auf den Reiter zu, indem sie ihre Arme zu Hilfe nahmen und sich wie Affen fortbewegten. Dabei bellten und heulten sie wie Wölfe, die Beute gewittert hatten.
Des Söldners Breitschwert glitt aus der Scheide und schimmerte gefährlich im Mondschein. Seine langen Haare und der schwarze, wappenlose Umhang, der an den Schulterblättern seines Plattenpanzers befestigt war, flatterte im Gegenwind, als seine Klinge wie eine blaue Schlange durch die Reihen seiner Feinde zischte, sich mühelos durch Kleidung, Fleisch und Knochen biss, um leblose Bestienkörper zu hinterlassen.
Durch ein gutes halbes Dutzend Wolflinge hatte er sich bereits gekämpft, als derjenige, der ihr Anführer zu sein schien, seinen Säbel verstaute und einen kurzen Bogen zur Brust nahm, dessen Sehnenlänge ungefähr der einer Armbrust entsprach. Ein kleiner und bolzenartiger Pfeil wurde angelegt. Überraschend zielsicher schwirrte das kleine Geschoss auf den Reiter zu. Es würde sich kaum tief in sein Fleisch bohren können, dafür war es zu langsam und seine Rüstung zu robust, doch war er sich sicher, dass sein heimtückischer Gegenspieler vergiftete Pfeile nutzte und jegliche Verletzung tödlich enden konnte. Nur war sein Pferd im schnellen Trab, ein Ausweichen schien unmöglich und das Geschoss war bereits auf seiner Schussbahn.
Ein blauer Lichtbogen durchtrennte einen Moment die Dunkelheit der Nacht und zerteilte den kühlen Abendwind. Der Bolzen prallte gegen die Klinge seines Schwertes. Der Pfeil versank im Gras des Hanges und der Reiter steuerte sein Ross in Richtung des Rudelführers.
Schnell war er von den brennenden Häusern der Siedlung umhüllt und er wollte den obersten Wolfling erreichen, bevor dieser einen zweiten Pfeil verschießen konnte. Mit einem selbstsicheren und zufriedenen Gesichtsausdruck sprang aber das Untier in sichere Entfernung auf einige gestapelte Kisten und spannte den Bogen abermals. Der Söldner erkannte die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens und bog sicherheitshalber in eine Seitengasse ein, welche durch brennende und teils eingestürzte Häuser gefährlich schmal geworden war. Die Flammen züngelten an Ross und Reiter hoch, als diese durch die engen Gassen ritten. Die schmale Gasse drohte gefährlicher zu werden als des Gegners Pfeile. Sein Pferd musste über einen gestürzten Balken springen, der mit beißendem Feuer den Weg versperrte. Dann brachen weitere Hölzer von den Häusern und das Fundament eines der Gebäude drohte nachzugeben. Mit den eisenbeschlagenen Stiefeln gab er seinem Ross einen Stoß in die Flanken, damit es sich sputete. Es war unnötig gewesen, das Pferd hatte die Gefahr bereits gewittert.
Das Feuer knirschte und Funken sprühten von oben herab, der Reiter und sein Tier drohten unter dem fallenden Holz und den Flammen begraben zu werden. Ein lautes Knarren und ein noch ohrenbetäubender Knall später war das Haus eingestürzt und blockierte Feuer spuckend die gesamte Gasse und den Durchgang. Doch der Söldner und sein nussbrauner Begleiter standen keuchend jenseits des Infernos. Sie hatten es gerade noch rechtzeitig geschafft.
Sie befanden sich nunmehr inmitten des Dorfes auf einem breiten und langen Mittelweg. Alles brannte und dicker Qualm entzog dem Söldner die Sicht. Er konnte nicht mehr erkennen, in welche Richtung ein Entkommen aus diesem Flammenmeer möglich war. Doch was er erkennen konnte, war, dass am anderen Ende des weiten Pfades sich einige Anwohner befanden, die sich mit Holzstangen, welche sie durch das Feuer entzündet hatten, ebenso wie mit Küchenmessern und anderen provisorischen Waffen gegen eine Übermacht an Wolflinge wehrten. Sie hielten sich tapfer gegen die Bestien. Die Bewohner kämpften trotz schwerer Verletzungen aus schierer Verzweiflung weiter, mit einer geradezu übermenschlichen Kraft. Nur war die zahlenmäßige Überlegenheit ihrer Gegner erdrückend und in ihrem Rücken befanden sich lodernde Hütten. Er musste schleunigst eingreifen, sonst waren sie verloren.
Der Söldner stieg vom Pferd, um sich besser durch das Inferno vorkämpfen zu können. Mit einem Klaps auf den von Asche ergrauten Rücken des Tieres sprang sein Ross davon. Es würde instinktiv den Ausweg aus Rauch und Flammen finden und an einem sicheren Ort auf ihn warten. Er hingegen schlängelte sich zu Fuß durch die brennenden Trümmer. Das Feuer stahl ihm die Luft, das Atmen fiel ihm schwer und er keuchte und hustete. Der Rauch war erdrückend, die Tränen ließen alles vor seinen Augen verschwimmen. Während er nur mühselig weiterkam und das Feuer immer wilder wütete, musste er zusehen, wie ein Bauer nach dem anderen durch die Waffen der Wolflinge fiel.
Während er versucht hatte, sich zu den kämpfenden Bewohnern vorzuarbeiten, war er unvorsichtig gewesen und hatte seine Deckung vernachlässigt. Einige Biester preschten nun überraschend aus einer Seitengasse auf ihn zu. Erst ihr unheimliches Bellen weckte seine Aufmerksamkeit. Den ersten Angreifer hatte er schnell erspäht und als dieser mit einem weiten Sprung über brennende Trümmer und mit gezücktem Säbel auf ihn zuraste, schwang er sein Breitschwert in Richtung der Bestie und hieb diese in der Luft entzwei. Die Wolflinge waren überraschend zäh. Aber vielleicht lag es auch daran, dass er sich immer schwächer fühlte. Sein Breitschwert lag ihm schwer in den Händen. Ihm wurde schwindlig, seine Sicht war vernebelt und Feuer sowie Qualm verschlimmerten alles unnötig. Acht der Tiere hatten sich in diesem Moment um ihn aufgestellt und griffen ihn aus immer unterschiedlichen Richtungen an, meistens zu zweit oder zu dritt. Der Söldner konnte die Angriffe nur parieren. Wollte er einen Gegenschlag ausführen, waren sie sogleich außer Reichweite seines Schwertes und versteckten sich wieder hinter Rauch und Flammen.
Dann ein Erfolg. Dem einen dieser Wesen konnte er den Waffenarm stehlen. Die blutende Extremität lag zu seinen Füßen, den Säbel fest zwischen die Krallen geklemmt. Der Rest des Wolflinge konnte durch eine Flammenwand fliehen. Einen zweiten hatte er am Bauch verletzt. Die Bestie wich überrascht nach hinten aus und fiel ins Feuer. Sein jämmerliches Gebell verstummte nach und nach in den hungrigen Flammen. Aber erst, als er sich zwei weiterer Feinde entledigen konnte, nahmen die Angriffe ab. Vielleicht weil es ihnen an Leuten fehlte und sie nach Verstärkung rufen wollten, oder weil sie selbst zwischen Rauch und Feuer die Witterung verloren hatten.
Er nutzte die Verschnaufpause, um sich einen Weg durch die stärker werdenden Flammen zu bahnen. Die Hitze wurde intensiver und er wurde im inneren seiner Rüstung regelrecht geschmort. Sein Gesicht war vom Ruß schwarz und die kostbare Flüssigkeit perlte als Schweiß an ihm herunter, doch hatte er keine Zeit zum Ruhen. Die Dorfbewohner benötigten seine Hilfe.
Plötzlich stachen hinter den Hügeln aus dem sternenlosen Nachthimmel vereinzelte Blitze, welche die Welt für kurze Zeit erhellten. Das Donnergrollen war durch das Knacken der lodernden Häuser kaum zu vernehmen. Da aber brach schon der Regen aus den dunklen Wolken, die von den schwarzen Rauchschwaden, die über dem Dorf hingen, nicht zu unterscheiden waren. Erste leichte Tropfen fielen vom Himmel und zischten, als sie im Feuer verdampften. Der Söldner fühlte eine seltsame Erleichterung, als ein Regentropfen auf seine Stirn sprang und sein Gesicht hinunterrann. Mit geschlossenen Augen ließ er sich vom zunehmenden Regen abkühlen, bis dieser so stark wurde, dass der Söldner innerhalb kürzester Zeit vollkommen durchnässt war und endlich wieder klar denken konnte.
Der lang erwartete Regen kam wahrlich zu einem seltsamen Zeitpunkt. Zwar erlosch das Feuer langsam, doch wurde nun der Rauch durch das Wasser um ein Vielfaches stärker. Der Söldner warf sein Gesicht hinter die schützenden Arme und hielt immer wieder den Atem an, um keinen Schaden von den giftigen Rauchschwaden davonzutragen. Die Sturmwolke allerdings zog weiter, der Regen ließ nach und der Söldner, der sich langsam zu den Bewohnern vorgekämpft hatte, stand vor den letzten drei Wolflingen, die seiner Klinge bisher hatten entkommen können. Die Bestien zögerten über die Leichen ihrer Kameraden zu steigen, um den zwar müden, aber mächtigen Kämpfer anzugreifen.
Er ging zum Angriff über. Zwei Bestien sprangen zur Seite, der dritte wurde vom Breitschwert zerrissen, ebenso wie einer der anderen, der dem Söldner in den Rücken hatte fallen wollen. Der letzte Wolfling rannte weg, versuchte mit seinen geschickten Beinen über die Trümmer zu flüchten, doch der Söldner hatte eines der Feindesmesser nach dem Flüchtenden geworfen. Die Klinge drang in den pelzigen Rücken und er stürzte kreischend zu Boden. Für die Anwohner hingegen kam jede Hilfe zu spät. Alle Leichen lagen dichtgedrängt beisammen, fast wie gestapelt, in einem kleinen Kreis. Einige waren angekohlt, doch die meisten von tödlichen Schnittwunden gezeichnet.
Der Regen war so schnell vorbeigezogen, wie er gekommen war. Doch hatte die Nässe den Ruß aus dem Gesicht des Söldners gewaschen, der dank der natürlichen Dusche nun lebendiger als vor Beginn des Kampfes dastand. Mit wenig Hoffnung suchte er bei den am Boden liegenden Körpern verzweifelt nach Lebenszeichen. Er ließ keinen aus und fand bei einem männlichen Anwohner eine schwache Atmung. Eines seiner Beine war offenbar ins Feuer geraten und war nur noch ein verkohlter Klumpen Fleisch. In seiner Brust steckte in einer tiefen, noch blutenden Wunde ein gezackter Dolch. Auch dieser Mann würde nicht überleben. Er öffnete jedoch die Augenlider, als er den Söldner in seiner Nähe spüren konnte. Nutzlos, jegliche Farbe und Glanz waren aus ihnen gewichen. Er konnte nicht mehr sehen als Schwärze und trotzdem wusste er, dass sich kein Feind genähert hatte.
»Meine Frau …«, stammelte er schwerfällig und schwach, einem Flüstern gleich. Es war nur noch ein Hauch einer Stimme. »Sie … sie ist geflüchtet! Ist sie … in Sicherheit?«
»Ja, sie lebt!«, antwortete der Söldner. »Ich habe sie außerhalb des Dorfes angetroffen. Sie bat mich um Hilfe. Doch ich kam zu spät.«
»Danke!«, der Mann hustete, spuckte Blut und hustete weiter, bis sein Kopf zur Seite sank und nur noch ein Röcheln von ihm zu vernehmen war. Dann verstummte er ganz.
Der Söldner wollte die Augen des Toten schließen, deren Lider immer noch offen waren, als ein bolzenartiges Geschoss durch die Lüfte zischte und zitternd in der Leiche stecken blieb. Er sprang zurück, rollte sich zur Seite und war schnell wieder auf den Beinen, das Breitschwert gezückt in der Waffenhand. Der Rudelführer lebte noch und setzte ihm mit Pfeil und Bogen nach.
»Hund!«, knurrte der Leitwolf wutentbrannt, »Krieger tot. Rache!«
Ein weiterer Pfeil schoss auf den Söldner zu, der mit einem erneuten Sprung zur Seite auswich. Bei der Landung flatterte sein schwarzes Rückentuch empor und seine freie Hand glitt rasch nach hinten. Als sie wieder hervorkam, war sein ganzer Arm hinter einem Rundschild verborgen, rabenschwarz, wie seine Rüstung und mit weißen Striemen verziert. Ein weiterer Pfeil raste auf den Söldner zu, doch prallte er nur an seinem Schild ab, genau wie all jene, welche diesem folgten. Der Rudelführer wurde sichtlich erzürnt und als er feststellen musste, dass er alle Bolzen verschossen hatte, warf er den Bogen ungeduldig zur Seite, zog aus seinem Waffengurt gleich zwei Säbel und leckte demonstrativ mit seiner langen Zunge an einer der Klingen, um umgehend zum Angriff überzugehen an.
Auf allen Vieren spurtete er auf den Söldner zu und sprang mit einem kräftigen Satz in die Höhe. Beide Waffen gezückt stürzte er auf seinen Gegner zu, der die Klingen mit dem Schild abblockte. Des Söldners Breitschwert glitt auf den ungeschützten Oberkörper des Untieres zu, doch dieser stieß sich nach hinten ab und entwich dem tödlichen Hieb. Dann umtänzelte das Wesen den Menschen und suchte eine Lücke in dessen eiserner Abwehr.
Der Rudelführer probierte es dieses Mal von unten und versuchte die Beine des Söldners zu verletzen. Doch anstatt den Hieb erneut mit dem Schild zu blocken, wich dieser aus, damit er ohne Verzögerung einen Gegenangriff starten konnte. Sein Breitschwert zischte auf den Wolfling nieder, der nur noch seine beiden Säbel zum Schutze vor den Körper halten konnte. Die lange Klinge zerschlug eine der Waffen des Wolfgesichtigen, doch war die Wucht nicht stark genug gewesen, um den zweiten Säbel zu zerteilen, der somit das Schwert vor dem pelzigen Körper stoppte. Mit schnellen Rückwärtsschritten sprang das tückische Wesen wieder aus der Reichweite der Waffe. Verächtlich warf er die Überreste der zerteilten Klinge in den Straßendreck, wo bereits der dank Munitionsmangel nutzlos gewordene Bogen lag.
Er geiferte, knirschte mit seinen Zähnen und seine gelben Augen funkelten vor Zorn. Doch dann breitete sich ein seltsames Lächeln auf der Hundeschnauze aus, welches dem Söldner gar nicht gefiel. Wieder spurtete der Wolfling auf ihn zu, indem er Hände und Füße zur Hilfe nahm und wieder sprang er hoch. Der Söldner machte sich auf einen Angriff gefasst, doch der Rudelführer hüpfte nicht gegen ihn, wie es zu erwarten gewesen wäre, sondern einfach nach oben fast einen Schritt rückwärts. In der Luft warf er seinem Gegner etwas entgegen, der bemerkte es erst, als das Zeug an seinem Schild, welches er zum Schutz gehoben hatte, zerstob und trotz der Abwehr in Augen und Mund drang. Es war Asche, die das tückische Biest von der Straße gekratzt hatte.
Der Söldner hustete, keuchte und war für kurze Zeit seiner Sicht beraubt, während der Wolfling, welcher immer noch die eiserne Barriere vor sich sah, schnell zur Seite sprang, um dem blinden Menschen an einer ungeschützten Stelle zu verwunden. Dieser konnte das Manöver zwar nicht sehen, hörte doch deutlich die tapsenden Pfoten der Bestie und das Klirren des Säbels, der am Boden scharrte. Ruckartig befreite er seinen Arm vom Schild und packte es an einer der Befestigungslaschen, um es in die Richtung zu schleudern, in der er seinen Gegner vermutete. Der schwarze Rundschild schlug vor dem Wolfling in die Erde und blieb dort stecken. Der Rudelführer hatte den Angriff gesehen und stoppte vor dem geworfenen Stahl, um drüberzuspringen, damit er seinen Angriff fortführen konnte.
Es war nur eine kurze Verzögerung gewesen, doch reichte sie, damit der Söldner mit der frei gewordenen Hand die Augen von der Asche befreien konnte. Erschrocken über die Gewandtheit und Schnelligkeit seines Gegners, erblickte er die Silhouette des Wolflings fast über seinem Kopf. Eher reflexartig als bewusst schwang er sein Breitschwert gegen die Bestie. Die beiden Klingen prallten aufeinander und in dieser grotesken Kampfpose verharrten sie einen Moment, als wäre die Welt stehen geblieben. Dann lösten sich beide voneinander und der Wolfling sprang wieder mit schnellen Rückwärtshüpfern in sichere Entfernung.
Die Bestie geiferte und bellte zornig. Kein verständliches Wort drang aus dem Rachen seiner Schnauze. Der Söldner befreite inzwischen seine Augen von den Resten der Asche. Als er nach mehreren Malen Blinzeln wieder sehen konnte, sprangen die beiden Feinde fast zeitgleich aufeinander zu, während der Mensch schrie und der Wolfling knurrte und jaulte. Der Brandschätzer war um einiges schneller und versuchte die letzten Meter zwischen ihnen durch einen Sprung zu überwinden. Der Söldner hatte nur auf diese Unüberlegtheit gewartet, die er nun schon einige Male bei diesen Geschöpfen beobachtet hatte, und wechselte mit einem raschen Seitwärtsschritt auf die unbewaffnete Seite des Angreifers. Dieser war nicht auf diesen Hinterhalt vorbereitet und konnte nur noch zusehen, wie sein Körper unausweichlich auf die Klinge des Breitschwertes zuraste. Ein Jaulen später rollte der Wolfskopf über dir Straße.
Der Söldner ging ermattet in die Knie, versorgte sein Schwert, als ein Schwindelanfall ihn überkam. Während des Kampfes hatte er den Mangel an Flüssigkeitsaufnahme der letzten Tage fast vergessen. Jetzt schien alles in seinem Körper zu rebellieren. Seine Knie zitterten. Er schloss die Augen, nur um herauszufinden, dass sich die Welt auch noch hinter geschlossenen Lidern Drehen konnte. Er schüttelte mit festem Willen die Schwäche von sich, erhob sich und ging wankenden Schrittes zu seinem Schild, der im Boden steckte. Er bückte sich gerade nach dem runden Metall, als ihn etwas von hinten ansprang. Fünf Krallen rammten sich in die Seite des Söldners und eine Wolfsschnauze verbiss sich in der Schulterplatte seiner Rüstung. Doch keine der natürlichen Waffen des unerwarteten Angreifers konnte den Stahl des Söldners durchdringen und ihn ernsthaft verletzen. Er fasste nach hinten und bekam die Bestie am Nacken zu fassen. Gleichgültig hörte er zu, wie einige der spitzen Zähne des Untieres brachen, als er es mit einem festen Ruck von sich riss und vor sich zu Boden schleuderte. Bevor der Wolfling aufstehen konnte, rammte der Söldner ihm seinen Stahlstiefel in den Magen und behielt ihn auf diese Weise unten.
Es war das Untier, welchem dem Söldner zu Beginn der Schlacht einen Arm abgehackt hatte. Aus der Wunde triefte immer noch Blut und die Bestie sah noch räudiger aus als ohnehin. Er fuchtelte mit seinem Schwert vor dem Gesicht des Untieres.
»Ich werde dir deinen Abgang erleichtern, wenn du mir einige Fragen beantwortest«, erklärte er dem hilflosen Wesen zu seinen Füßen. Er hoffte inständig, ein Exemplar mit rudimentären Sprachkenntnis vor sich zu haben. Und er hatte Glück.
»Kein Wort«, geiferte das Tier mit dem typischen Knurren und abgrundtiefem Hass im Blick.
Aus dem Mund quoll nun ebenfalls Blut hervor. Die abgerissenen Zähne hatten deutliche Spuren hinterlassen. Für einen flüchtigen Moment überfiel ihn fast so etwas wie Mitgefühl. Einen sehr flüchtigen Moment. Der Stiefel des Söldners lockerte sich, nur um abermals schmerzhaft in den Magen des Gefangenen gerammt zu werden. Rippen knackten und splitterten mit einem Geräusch, welches in den Ohren schmerzte. Das Biest winselte und krümmte sich.
»Sprich! Warum seid ihr als großes Rudel in dieser entlegenen Gegend?«
»Geht Mensch nichts an!«, bellte der Wolfling, wenn auch nicht mehr ganz so lautstark wie zuvor.
Der Söldner trat ein wenig mit dem Stiefel nach, was dem Gesichtsausdruck nach seine Wirkung nicht verfehlte. Doch er blieb weiter stumm. Der Spitz des Breitschwertes drang ins Fleisch des gesunden Armes, welcher noch vergeblich versuchte den Söldner zu erwischen. Dann drückte dieser die Extremität der Bestie auf den Boden. Dessen gelbe Augen verdrehten sich vor Qual, sodass die Pupillen nicht mehr zu sehen waren. Er holte sein Schwert zu einem Hieb aus.
»Reden!«, flehte das Untier und die Klinge bremste vor dem Arm ab. Der Wolfsgesichtige blickte mit aufgerissenen Lidern und schwerem Atem auf den gehärteten Stahl in der Nähe seines Fleisches und überprüfte reflexhaft alle Funktionen seines Armes, indem er jeden Finger einzeln bewegte.
»Geht doch!«, erwiderte der Söldner lächelnd. »Also, warum habt ihr dieses Dorf überfallen?«
»Hassen Menschen!«
Der Söldner blickte auf den Leichenstapel und frohlockte: »Das Morden ist euch wahrlich gut gelungen!«
»Rache«, geiferte der Wolfling nur noch schwächlich. Er schien langsam das Bewusstsein zu verlieren.
»Was treibt euch in diese Gegend?«
»Langer Marsch.«
»Und wohin sollte die Reise gehen?«
Die Augen des Wolflinge verdrehten sich wieder, die Zunge hing halb hinaus und war unter den roten Blut- und Speichelflecken grün und blau verfärbt. Er hatte nicht mehr lange zu leben und stotterte: »Tristurg.«
Der Söldner hatte von diesem Gebirge schon einmal gehört. Schreckliche Geschichten waren im Umlauf. Er meinte zu wissen, dass er im östlichen Teil des großen Erdreiches lag.
»Larsenor!«, rief er plötzlich laut seinem Gegner zu. »Liegt das Reiseziel im Lande Larsenor?«
Der Wolfling antworte nicht. Er schien nun endgültig abzutreten und schloss langsam die Augen. Wieder musste er sich einen Tritt mit dem Stiefel über sich ergehen lassen und er war sogleich wieder da.
»Liegt der Berg in Larsenor? Sag!«, setzte der Söldner nach.
»Nicht wissen«, hauchte das siechende Untier.
»Was wollt ihr dort? Warum nehmt ihr eine solch weite und gefährliche Reise auf euch?«
»Mächtiges Wesen …« Seine Augen glänzten bei diesen Worten.
»Was für ein Wesen?«, die Angelegenheit wurde immer aufschlussreicher.
»Stark, groß, mächtig!« Der Wolfling schien so kurz vor dem Tode regelrecht zu fiebern.
»Warum hat es euch nach Tristurg beordert?«
»Befehl!«
Der Wolfling brach abermals zusammen und er musste ihm erneut einen Tritt versetzten, obwohl zu befürchten stand, dass sein Gefangener nicht mehr viele überstehen würde. Der Blick des Wolflings wurde schlagartig klar und seine Stimme fest und schlotterte nicht mehr vor Schmerz, als hätte er die vorherige Schwäche nur gespielt.
»Eisenkrieger zu spät. Menschenreich verloren. Unser Sieg!«
Das folgende bellende Lachen war laut und gemein. Es passte nicht zu einem Sterbenden, sondern wirkte überlegen und siegessicher. Es widerte den Söldner an und lief ihm – trotz der Hitze – kalt den Rücken hinunter.
»Wer seid ihr?«, fragte er entsetzt, fast wie gelähmt.
Doch das Lachen wurde zu einem Husten und als der Söldner feststellen musste, dass er nichts mehr aus dem Wolfling herausquetschen konnte, beendete er das Zwiegespräch mit einem Schwerthieb.
Der Regen, welcher vor Kurzem übers Land gepeitscht war, hatte das Feuer zum größten Teil verebben lassen. Es hatte allerdings nicht mehr verhindern können, dass die meisten Häuser zu weiten Teilen zusammengefallen waren. Das Holz dampfte noch und gab einen grässlichen Gestank ab, während hier und da die Glut noch gierig zischte. Die Straße war gesäumt von Leichen und abgeschlagenen Gliedern. Menschliche und pelzige Körper lagen in Blutlachen, welche die Regenpfützen verfärbten und zu den verkohlten Trümmern ein groteskes Bild abgaben, in dessen Mitte der erschöpfte Söldner stand, der den Kampf und das Gesagte verdauen musste, während die Frau, welche er am Hügel angetroffen hatte, langsam und schwankend, wie im Delirium, den Pfad entlang lief über Leichen stieg und der Ohnmacht gefährlich nahe kam.
Sie kümmerte sich nicht um den Söldner und sie steuerte viel mehr die toten Körper der Bewohner an. Es dauerte nicht lange, bis sie ihren Mann fand und weinend über ihm zusammenbrach. Der Söldner konnte nicht viel mehr tun, als zu ihr zu gehen und sich bei ihr für sein Versagen zu entschuldigen. Er war selbst überrascht, wie ernst er es meinte, obwohl eher Bitterkeit, den Auftrag nicht erfüllt zu haben, mitspielte, als ein Gefühl des Verlustes für irgendeinen Dörfler. Die Frau antworte nicht und weinte verzweifelt weiter. Er hatte hier nichts mehr verloren. Wenn er die Trümmer anschaute, dann konnte man hier bestimmt keine Nahrung mehr finden. Er pfiff laut mithilfe zweier Finger und einen kurzen Moment später, hörte er die Hufen seines Pferdes traben, welches sich an ihn schmiegte und liebevoll an der Mähne getätschelt wurde. Dann sammelte er sein Schild auf und verstaute es wieder an seinem Rücken, bevor er sich in den Sattel seines Rosses hievte.
»Ich werde jetzt gehen«, sagte er zur Frau gewandt, ohne, dass er eine Antwort erwartete. »Hier hält mich nichts mehr.«
Er drehte sein Pferd und wollte davon reiten, als sie doch noch den Kopf hob und zu ihm sprach.
»Wartet! Was ist mit eurer Belohnung?«
»Ich habe sie nicht verdient. Außerdem habe ich Informationen erhalten, die weitaus mehr Wert sind, als alles was ihr mir bieten könnt. Wenn ich euch einen Rat geben darf, so sammelt alles Hab und Gut zusammen und fangt an einem anderen Ort ein neues, glücklicheres Leben an.«
»Danke!«
Die Tränen glitzerten auf ihren Backen, als wären die Sterne auf ihr gerötetes Gesicht gesunken, um mit ihr zu trauern.
»Kann ich euch sonst irgendwie helfen?«
»Mein Pferd und ich sind seit Tagen unterwegs mit wenig Wasser und ohne Nahrung.«
Die Frau blickte über den Trümmerhaufen, welcher einst ihre Heimat gewesen war.
»Ich glaube nicht, dass wir hier noch etwas Essbares finden. Doch gibt es einen Schöpfbrunnen nicht weit entfernt, immer dieser Straße entlang«, sie zeigte in die Richtung, in welche er zu reisen gedachte. »In den letzten Tagen trug er kaum noch Wasser, doch dank des Regenschauers wird er sicherlich ein wenig gefüllt sein.«
Der Reiter bedankte sich und wollte gehen, als sie ihm nachrief.
»Wie ist euer Name? Ich möchte von euren heutigen Taten erzählen. Wie ihr eine ganze Schar Wolflinge getötet habt.
»Ich habe nichts davon, wenn mein Name durch die Münder der Leute wandert.«
»Bitte!«
Er seufzte und sprach betont verhalten.
»Marek. Einfach nur Marek, der Söldner.«
Ihre Augenlider weiteten sich und der Tränenstrom brach abrupt ab. Erstaunt grüßte er nun endgültig zum Abschied und trat seine Weiterreise an. Ein leichtes Schmunzeln umspielte für eine Sekunde seine Lippen: Selbst hier hatte man also bereits seinen Namen vernommen.
Prolog: Der Söldner
Die untergehende Abendsonne stand grell am Horizont und warf ein gelbliches Licht auf das von Dürre gezeichnete Land. Gräser und Kräuter waren braun und über weite Felder vegetierte unfruchtbare Ernte dahin. Auf einem von der Trockenheit gezeichneten schmalen Pfad, der von blattlosem Geäst gesäumt wurde, trottete ein einsamer, bewaffneter Reiter auf seinem Fuchs dahin. Von seiner langen Reise durch dieses öde Land erschöpft, hoffte er, bald auf eine Siedlung zu treffen.
Die Sonne versank schließlich gänzlich hinter dem Horizont und überließ Mond und Sternen das Feld. Das schwache Leuchten der schmalen Sichel ließ die weißen Verzierungen der rabenschwarze Rüstung des Reiters bläulich schimmern. Während das grimmige Gesicht für keine Gefühlsregungen geeignet schien, zeichnete sich auf der Stirn eine beeindruckende tiefe Narbe ab. Es war nur eine von vielen an dem von unzähligen Kämpfen geschundenen Körper. Seine Haare trug er offen, bis weit über die Schultern, sodass sie im Abendwind wehten. Ein schwarzer, wappenloser Umhang verhüllte die Statur und am Waffengurt hing die Scheide für das Breitschwert.
Das Pferd, ein kräftiger und großer Hengst, trabte stolz durch die Finsternis, als sich vor Ross und Reiter hinter einer Anhöhe ein heller Schein am Himmel abzeichnete. Es musste ein Dorf sein und so gab er seinem Ross die Sporen. Auf dem Hügel angelangt, blickte er entsetzt auf die hellerleuchteten Flecken nieder. Die schemenhaft zu erkennenden einfachen Holzhütten mit ihren Strohdächern standen allesamt in Flammen. Der Rauch, der aus den brennenden Häusern hervorquoll, sammelte sich zu einer riesigen, schwarzen Wolke, die am dunklen Nachthimmel sich nur schwach abzeichnete. Unüberhörbar ertönten immer wieder Kampflaute, deren Ursprung man aus der Ferne nur erschwer erahnen konnte.
Obwohl im Kämpfen geübt, wäre es zu diesem Zeitpunkt töricht gewesen, sich in das Dorf zu wagen und eine Schlacht gegen einen unbekannten Feind zu führen. Er war geschwächt von einer langen, beschwerlichen Reise mit wenig Nahrung und noch weniger Wasser. Außerdem war er Söldner. Er zog sein Schwert in der Regel nur für eine Gegenleistung. Für die wenigen Lebensmittel, die den Brand mit etwas Glück überstehen würden, lohnte sich das Kämpfen wohl kaum. Doch andererseits, wann würde er in dieser trost- und wasserlosen Gegend, das nächste Lebenszeichen antreffen? Unentschlossen blickte er eine ganze Weile auf das Flammenmeer, welches sich immer weiter ausbreitete. Plötzlich sah er eine Gestalt den Hang erklimmen. Er verfluchte sein Zögern. Im Mondenschein war er mit seiner Rüstung nicht gerade unauffällig und jemand musste ihn entdeckt haben. Schnell lag seine Hand auf dem Heft des Schwertes und er zog es geschwind, für den Fall, dass sein Gegenüber feindselige Absichten besitzen sollte. Auch die Stahlklinge schimmerte wie die Verzierungen der Rüstung im Mondlicht.
Bald schon aber erkannte er eine Frau, die etwas schwerfällig doch nicht minder ehrgeizig mit ihrem unhandlichen Kleid über die Felsvorsprünge zu ihm emporkroch. Keuchend erreichte Sie das Plateau. Das Schwert des Reiters glitt zurück in die Scheide. Dennoch war er gespannt und auf der Hut zugleich. Es konnte eine Arglist sein, ein Hinterhalt. Dann begann die Frau mit dem angesengten Kleid und dem rußverschmierten Gesicht Worte keuchend hervorzustoßen. Sie schnappte dabei immer wieder nach Luft.
»Bitte, helft uns!«, sprach sie flehend, während sie ihre Tränen mit den Händen vom Gesicht wischte und dabei ihre eingefallenen Wangen mit weiteren schwarzen Striemen versah.
»Bitte, bitte, helft uns!«, rief sie ihn verzweifelt an. Die Tränen kullerten weiter. »So helft uns doch! Seht nur unser Dorf. Es wird angegriffen. Seht die Flammen!«
»Ich sehe es«, antwortete er kühl und setzte hinzu: »Doch was könnt ihr mir bieten, gute Frau, wenn ich euch helfen soll?« Sie schien nicht recht zu verstehen und reagierte nicht. Doch es war ihm Ernst: »Ich bin Söldner. Ich mache fast jede Arbeit, solange die Bezahlung stimmt. Von Wohltaten alleine werde ich leider nicht satt, besonders in einer solchen Gegend!«
»Wir sind eine arme Gemeinschaft und die Dürre hat den größten Teil unserer Ernte zerstört«, stöhnte die Frau.
Doch wenn er etwas während seiner Arbeit gelernt hatte, dann war es, Mitgefühl für andere Leute Schicksale zu ignorieren und so machte er auch keinen Hehl aus diesem Umstand. Die Frau schien sein abweisendes Wesen langsam zu begreifen.
»Aber wenn ihr uns helft,« sagte sie schließlich, »diese Bestien zu vertreiben, dann werde ich alles bewegliche Hab und Gut zusammentragen, welches sich nach dem Brand noch finden lässt.«
Der Söldner hatte sich eher eine großzügige Mahlzeit vorgestellt und Vorräte für seine weitere Reise. Er sprach drum: »Versprecht mir sicheres Geleit durch euer Land und Vorräte für sieben Tage, so will ich sehen, was ich tun kann.«
Die Frau willigte mit einem eiligen Kopfnicken und einem erschöpften Murmeln der Worte „Gewiss mein guter Krieger, alles was ihr braucht!“ ein.
»Wer oder was greift euer Dorf an?«, fragte der Söldner, nun im Geiste schon mitten im Kampfe.
Sie berichtete von dem Überfall der Wolflinge, der sie alle im Ort überrascht hatte. Wolflinge, welche sonst die Trockenheit mieden, in unüberschaubarer Anzahl waren über sie hergefallen. Er nickte nur kurz, prüfte mit wenigen Handgriffen Zaumzeug, Sattel sowie Waffenrock und setzte sein Pferd in Bewegung.
»Bitte, helft auch meinem Mann, meiner Familie!«, rief sie ihm noch voller Verzweiflung nach.
Seufzend suchte er in der Dunkelheit, die nur von den Flammen der brennenden Gebäude erhellt wurde, eine Stelle, die sein Pferd ohne Wagnis hinabsteigen konnte, um zum Dorf zu gelangen. Der Hang war steil und gefährlich. Es dauerte eine Weile, bis er den schwierigsten Teil hinter sich hatte und auf eine flachere Ebene gelangte, die er bedenkenlos im zügigen Trab überqueren konnte. Aber das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine Verletzung seines Streitrosses.
Die ganze Sache gefiel ihm nicht. Wenn er die Zahl der Wolflinge ausfindig zu machen versuchte, musste er feststellen, dass es sich um zwei Dutzend oder eher noch mehr dieser tückischen Wesen handeln musste. Er war geschwächt und seine Gegner flink und hinterhältig. Bis jetzt hatte er noch nie gegen ein Rudel dieser Größe kämpfen müssen. Meistens griffen die kleinen Biester zu zweit oder dritt fahrende Händler und einsame Reisende auf kaum befahrenen, abgelegenen Straßen an, wenn sie sich überhaupt in die Reiche der Menschen wagten. Das Seltsamste aber war, dass sie grundsätzlich in feuchten Gebieten oder dichten Wäldern siedelten. Diese Gegend war für sie absolut untypisch.
Als er dem brennenden Dorf entgegenritt, erblickten ihn einige dieser gut einen Meter großen Wesen. Ihre Wolfsgesichter wankten sabbernd in seine Richtung. Einige leckten dabei verspielt ihre großen Schnauzen und ihre gelben Augen zuckten vergnügt im flackernden Schein der Flammen. Ihre ergrauten Felle hatten einen grünlichen und manchmal bläulichen Schein, den man trotz der Nacht und dem gelblichen Licht erkennen konnte, fast als hätten sie zu lange im warmen Wasser gebadet und dabei ihre Farben verloren. Die Mehrzahl der Raubtiere war bewaffnet mit Säbeln, Dolchen und kurzen, schmalen Messern, welche sie zu Dutzenden in ihren Gürteln trugen, die sie oberhalb ihres nackten, rattenähnlichen Schwanzes trugen. Ihre Oberkörper schützten sie durch einfache Lederwesten, von denen die meisten abgewetzt oder gar notdürftig geflickt waren.
Einer der Angreifer verzog seine Schnauze zu einem fiesen Lächeln, welches zugleich seine spitzen Zähne offenbarte, die mühelos rohes Fleisch zerreißen konnten. Er gab seinen Kriegern einen bellenden Befehl zum Angriff, der auch für den Söldner unmissverständlich war. Prompt warf einer sein Messer nach ihm, doch er war zu weit entfernt, um einen Treffer zu landen. Die anderen Wolflinge spurteten mit gezückten Säbeln auf den Reiter zu, indem sie ihre Arme zu Hilfe nahmen und sich wie Affen fortbewegten. Dabei bellten und heulten sie wie Wölfe, die Beute gewittert hatten.
Des Söldners Breitschwert glitt aus der Scheide und schimmerte gefährlich im Mondschein. Seine langen Haare und der schwarze, wappenlose Umhang, der an den Schulterblättern seines Plattenpanzers befestigt war, flatterte im Gegenwind, als seine Klinge wie eine blaue Schlange durch die Reihen seiner Feinde zischte, sich mühelos durch Kleidung, Fleisch und Knochen biss, um leblose Bestienkörper zu hinterlassen.
Durch ein gutes halbes Dutzend Wolflinge hatte er sich bereits gekämpft, als derjenige, der ihr Anführer zu sein schien, seinen Säbel verstaute und einen kurzen Bogen zur Brust nahm, dessen Sehnenlänge ungefähr der einer Armbrust entsprach. Ein kleiner und bolzenartiger Pfeil wurde angelegt. Überraschend zielsicher schwirrte das kleine Geschoss auf den Reiter zu. Es würde sich kaum tief in sein Fleisch bohren können, dafür war es zu langsam und seine Rüstung zu robust, doch war er sich sicher, dass sein heimtückischer Gegenspieler vergiftete Pfeile nutzte und jegliche Verletzung tödlich enden konnte. Nur war sein Pferd im schnellen Trab, ein Ausweichen schien unmöglich und das Geschoss war bereits auf seiner Schussbahn.
Ein blauer Lichtbogen durchtrennte einen Moment die Dunkelheit der Nacht und zerteilte den kühlen Abendwind. Der Bolzen prallte gegen die Klinge seines Schwertes. Der Pfeil versank im Gras des Hanges und der Reiter steuerte sein Ross in Richtung des Rudelführers.
Schnell war er von den brennenden Häusern der Siedlung umhüllt und er wollte den obersten Wolfling erreichen, bevor dieser einen zweiten Pfeil verschießen konnte. Mit einem selbstsicheren und zufriedenen Gesichtsausdruck sprang aber das Untier in sichere Entfernung auf einige gestapelte Kisten und spannte den Bogen abermals. Der Söldner erkannte die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens und bog sicherheitshalber in eine Seitengasse ein, welche durch brennende und teils eingestürzte Häuser gefährlich schmal geworden war. Die Flammen züngelten an Ross und Reiter hoch, als diese durch die engen Gassen ritten. Die schmale Gasse drohte gefährlicher zu werden als des Gegners Pfeile. Sein Pferd musste über einen gestürzten Balken springen, der mit beißendem Feuer den Weg versperrte. Dann brachen weitere Hölzer von den Häusern und das Fundament eines der Gebäude drohte nachzugeben. Mit den eisenbeschlagenen Stiefeln gab er seinem Ross einen Stoß in die Flanken, damit es sich sputete. Es war unnötig gewesen, das Pferd hatte die Gefahr bereits gewittert.
Das Feuer knirschte und Funken sprühten von oben herab, der Reiter und sein Tier drohten unter dem fallenden Holz und den Flammen begraben zu werden. Ein lautes Knarren und ein noch ohrenbetäubender Knall später war das Haus eingestürzt und blockierte Feuer spuckend die gesamte Gasse und den Durchgang. Doch der Söldner und sein nussbrauner Begleiter standen keuchend jenseits des Infernos. Sie hatten es gerade noch rechtzeitig geschafft.
Sie befanden sich nunmehr inmitten des Dorfes auf einem breiten und langen Mittelweg. Alles brannte und dicker Qualm entzog dem Söldner die Sicht. Er konnte nicht mehr erkennen, in welche Richtung ein Entkommen aus diesem Flammenmeer möglich war. Doch was er erkennen konnte, war, dass am anderen Ende des weiten Pfades sich einige Anwohner befanden, die sich mit Holzstangen, welche sie durch das Feuer entzündet hatten, ebenso wie mit Küchenmessern und anderen provisorischen Waffen gegen eine Übermacht an Wolflinge wehrten. Sie hielten sich tapfer gegen die Bestien. Die Bewohner kämpften trotz schwerer Verletzungen aus schierer Verzweiflung weiter, mit einer geradezu übermenschlichen Kraft. Nur war die zahlenmäßige Überlegenheit ihrer Gegner erdrückend und in ihrem Rücken befanden sich lodernde Hütten. Er musste schleunigst eingreifen, sonst waren sie verloren.
Der Söldner stieg vom Pferd, um sich besser durch das Inferno vorkämpfen zu können. Mit einem Klaps auf den von Asche ergrauten Rücken des Tieres sprang sein Ross davon. Es würde instinktiv den Ausweg aus Rauch und Flammen finden und an einem sicheren Ort auf ihn warten. Er hingegen schlängelte sich zu Fuß durch die brennenden Trümmer. Das Feuer stahl ihm die Luft, das Atmen fiel ihm schwer und er keuchte und hustete. Der Rauch war erdrückend, die Tränen ließen alles vor seinen Augen verschwimmen. Während er nur mühselig weiterkam und das Feuer immer wilder wütete, musste er zusehen, wie ein Bauer nach dem anderen durch die Waffen der Wolflinge fiel.
Während er versucht hatte, sich zu den kämpfenden Bewohnern vorzuarbeiten, war er unvorsichtig gewesen und hatte seine Deckung vernachlässigt. Einige Biester preschten nun überraschend aus einer Seitengasse auf ihn zu. Erst ihr unheimliches Bellen weckte seine Aufmerksamkeit. Den ersten Angreifer hatte er schnell erspäht und als dieser mit einem weiten Sprung über brennende Trümmer und mit gezücktem Säbel auf ihn zuraste, schwang er sein Breitschwert in Richtung der Bestie und hieb diese in der Luft entzwei. Die Wolflinge waren überraschend zäh. Aber vielleicht lag es auch daran, dass er sich immer schwächer fühlte. Sein Breitschwert lag ihm schwer in den Händen. Ihm wurde schwindlig, seine Sicht war vernebelt und Feuer sowie Qualm verschlimmerten alles unnötig. Acht der Tiere hatten sich in diesem Moment um ihn aufgestellt und griffen ihn aus immer unterschiedlichen Richtungen an, meistens zu zweit oder zu dritt. Der Söldner konnte die Angriffe nur parieren. Wollte er einen Gegenschlag ausführen, waren sie sogleich außer Reichweite seines Schwertes und versteckten sich wieder hinter Rauch und Flammen.
Dann ein Erfolg. Dem einen dieser Wesen konnte er den Waffenarm stehlen. Die blutende Extremität lag zu seinen Füßen, den Säbel fest zwischen die Krallen geklemmt. Der Rest des Wolflinge konnte durch eine Flammenwand fliehen. Einen zweiten hatte er am Bauch verletzt. Die Bestie wich überrascht nach hinten aus und fiel ins Feuer. Sein jämmerliches Gebell verstummte nach und nach in den hungrigen Flammen. Aber erst, als er sich zwei weiterer Feinde entledigen konnte, nahmen die Angriffe ab. Vielleicht weil es ihnen an Leuten fehlte und sie nach Verstärkung rufen wollten, oder weil sie selbst zwischen Rauch und Feuer die Witterung verloren hatten.
Er nutzte die Verschnaufpause, um sich einen Weg durch die stärker werdenden Flammen zu bahnen. Die Hitze wurde intensiver und er wurde im inneren seiner Rüstung regelrecht geschmort. Sein Gesicht war vom Ruß schwarz und die kostbare Flüssigkeit perlte als Schweiß an ihm herunter, doch hatte er keine Zeit zum Ruhen. Die Dorfbewohner benötigten seine Hilfe.
Plötzlich stachen hinter den Hügeln aus dem sternenlosen Nachthimmel vereinzelte Blitze, welche die Welt für kurze Zeit erhellten. Das Donnergrollen war durch das Knacken der lodernden Häuser kaum zu vernehmen. Da aber brach schon der Regen aus den dunklen Wolken, die von den schwarzen Rauchschwaden, die über dem Dorf hingen, nicht zu unterscheiden waren. Erste leichte Tropfen fielen vom Himmel und zischten, als sie im Feuer verdampften. Der Söldner fühlte eine seltsame Erleichterung, als ein Regentropfen auf seine Stirn sprang und sein Gesicht hinunterrann. Mit geschlossenen Augen ließ er sich vom zunehmenden Regen abkühlen, bis dieser so stark wurde, dass der Söldner innerhalb kürzester Zeit vollkommen durchnässt war und endlich wieder klar denken konnte.
Der lang erwartete Regen kam wahrlich zu einem seltsamen Zeitpunkt. Zwar erlosch das Feuer langsam, doch wurde nun der Rauch durch das Wasser um ein Vielfaches stärker. Der Söldner warf sein Gesicht hinter die schützenden Arme und hielt immer wieder den Atem an, um keinen Schaden von den giftigen Rauchschwaden davonzutragen. Die Sturmwolke allerdings zog weiter, der Regen ließ nach und der Söldner, der sich langsam zu den Bewohnern vorgekämpft hatte, stand vor den letzten drei Wolflingen, die seiner Klinge bisher hatten entkommen können. Die Bestien zögerten über die Leichen ihrer Kameraden zu steigen, um den zwar müden, aber mächtigen Kämpfer anzugreifen.
Er ging zum Angriff über. Zwei Bestien sprangen zur Seite, der dritte wurde vom Breitschwert zerrissen, ebenso wie einer der anderen, der dem Söldner in den Rücken hatte fallen wollen. Der letzte Wolfling rannte weg, versuchte mit seinen geschickten Beinen über die Trümmer zu flüchten, doch der Söldner hatte eines der Feindesmesser nach dem Flüchtenden geworfen. Die Klinge drang in den pelzigen Rücken und er stürzte kreischend zu Boden. Für die Anwohner hingegen kam jede Hilfe zu spät. Alle Leichen lagen dichtgedrängt beisammen, fast wie gestapelt, in einem kleinen Kreis. Einige waren angekohlt, doch die meisten von tödlichen Schnittwunden gezeichnet.
Der Regen war so schnell vorbeigezogen, wie er gekommen war. Doch hatte die Nässe den Ruß aus dem Gesicht des Söldners gewaschen, der dank der natürlichen Dusche nun lebendiger als vor Beginn des Kampfes dastand. Mit wenig Hoffnung suchte er bei den am Boden liegenden Körpern verzweifelt nach Lebenszeichen. Er ließ keinen aus und fand bei einem männlichen Anwohner eine schwache Atmung. Eines seiner Beine war offenbar ins Feuer geraten und war nur noch ein verkohlter Klumpen Fleisch. In seiner Brust steckte in einer tiefen, noch blutenden Wunde ein gezackter Dolch. Auch dieser Mann würde nicht überleben. Er öffnete jedoch die Augenlider, als er den Söldner in seiner Nähe spüren konnte. Nutzlos, jegliche Farbe und Glanz waren aus ihnen gewichen. Er konnte nicht mehr sehen als Schwärze und trotzdem wusste er, dass sich kein Feind genähert hatte.
»Meine Frau …«, stammelte er schwerfällig und schwach, einem Flüstern gleich. Es war nur noch ein Hauch einer Stimme. »Sie … sie ist geflüchtet! Ist sie … in Sicherheit?«
»Ja, sie lebt!«, antwortete der Söldner. »Ich habe sie außerhalb des Dorfes angetroffen. Sie bat mich um Hilfe. Doch ich kam zu spät.«
»Danke!«, der Mann hustete, spuckte Blut und hustete weiter, bis sein Kopf zur Seite sank und nur noch ein Röcheln von ihm zu vernehmen war. Dann verstummte er ganz.
Der Söldner wollte die Augen des Toten schließen, deren Lider immer noch offen waren, als ein bolzenartiges Geschoss durch die Lüfte zischte und zitternd in der Leiche stecken blieb. Er sprang zurück, rollte sich zur Seite und war schnell wieder auf den Beinen, das Breitschwert gezückt in der Waffenhand. Der Rudelführer lebte noch und setzte ihm mit Pfeil und Bogen nach.
»Hund!«, knurrte der Leitwolf wutentbrannt, »Krieger tot. Rache!«
Ein weiterer Pfeil schoss auf den Söldner zu, der mit einem erneuten Sprung zur Seite auswich. Bei der Landung flatterte sein schwarzes Rückentuch empor und seine freie Hand glitt rasch nach hinten. Als sie wieder hervorkam, war sein ganzer Arm hinter einem Rundschild verborgen, rabenschwarz, wie seine Rüstung und mit weißen Striemen verziert. Ein weiterer Pfeil raste auf den Söldner zu, doch prallte er nur an seinem Schild ab, genau wie all jene, welche diesem folgten. Der Rudelführer wurde sichtlich erzürnt und als er feststellen musste, dass er alle Bolzen verschossen hatte, warf er den Bogen ungeduldig zur Seite, zog aus seinem Waffengurt gleich zwei Säbel und leckte demonstrativ mit seiner langen Zunge an einer der Klingen, um umgehend zum Angriff überzugehen an.
Auf allen Vieren spurtete er auf den Söldner zu und sprang mit einem kräftigen Satz in die Höhe. Beide Waffen gezückt stürzte er auf seinen Gegner zu, der die Klingen mit dem Schild abblockte. Des Söldners Breitschwert glitt auf den ungeschützten Oberkörper des Untieres zu, doch dieser stieß sich nach hinten ab und entwich dem tödlichen Hieb. Dann umtänzelte das Wesen den Menschen und suchte eine Lücke in dessen eiserner Abwehr.
Der Rudelführer probierte es dieses Mal von unten und versuchte die Beine des Söldners zu verletzen. Doch anstatt den Hieb erneut mit dem Schild zu blocken, wich dieser aus, damit er ohne Verzögerung einen Gegenangriff starten konnte. Sein Breitschwert zischte auf den Wolfling nieder, der nur noch seine beiden Säbel zum Schutze vor den Körper halten konnte. Die lange Klinge zerschlug eine der Waffen des Wolfgesichtigen, doch war die Wucht nicht stark genug gewesen, um den zweiten Säbel zu zerteilen, der somit das Schwert vor dem pelzigen Körper stoppte. Mit schnellen Rückwärtsschritten sprang das tückische Wesen wieder aus der Reichweite der Waffe. Verächtlich warf er die Überreste der zerteilten Klinge in den Straßendreck, wo bereits der dank Munitionsmangel nutzlos gewordene Bogen lag.
Er geiferte, knirschte mit seinen Zähnen und seine gelben Augen funkelten vor Zorn. Doch dann breitete sich ein seltsames Lächeln auf der Hundeschnauze aus, welches dem Söldner gar nicht gefiel. Wieder spurtete der Wolfling auf ihn zu, indem er Hände und Füße zur Hilfe nahm und wieder sprang er hoch. Der Söldner machte sich auf einen Angriff gefasst, doch der Rudelführer hüpfte nicht gegen ihn, wie es zu erwarten gewesen wäre, sondern einfach nach oben fast einen Schritt rückwärts. In der Luft warf er seinem Gegner etwas entgegen, der bemerkte es erst, als das Zeug an seinem Schild, welches er zum Schutz gehoben hatte, zerstob und trotz der Abwehr in Augen und Mund drang. Es war Asche, die das tückische Biest von der Straße gekratzt hatte.
Der Söldner hustete, keuchte und war für kurze Zeit seiner Sicht beraubt, während der Wolfling, welcher immer noch die eiserne Barriere vor sich sah, schnell zur Seite sprang, um dem blinden Menschen an einer ungeschützten Stelle zu verwunden. Dieser konnte das Manöver zwar nicht sehen, hörte doch deutlich die tapsenden Pfoten der Bestie und das Klirren des Säbels, der am Boden scharrte. Ruckartig befreite er seinen Arm vom Schild und packte es an einer der Befestigungslaschen, um es in die Richtung zu schleudern, in der er seinen Gegner vermutete. Der schwarze Rundschild schlug vor dem Wolfling in die Erde und blieb dort stecken. Der Rudelführer hatte den Angriff gesehen und stoppte vor dem geworfenen Stahl, um drüberzuspringen, damit er seinen Angriff fortführen konnte.
Es war nur eine kurze Verzögerung gewesen, doch reichte sie, damit der Söldner mit der frei gewordenen Hand die Augen von der Asche befreien konnte. Erschrocken über die Gewandtheit und Schnelligkeit seines Gegners, erblickte er die Silhouette des Wolflings fast über seinem Kopf. Eher reflexartig als bewusst schwang er sein Breitschwert gegen die Bestie. Die beiden Klingen prallten aufeinander und in dieser grotesken Kampfpose verharrten sie einen Moment, als wäre die Welt stehen geblieben. Dann lösten sich beide voneinander und der Wolfling sprang wieder mit schnellen Rückwärtshüpfern in sichere Entfernung.
Die Bestie geiferte und bellte zornig. Kein verständliches Wort drang aus dem Rachen seiner Schnauze. Der Söldner befreite inzwischen seine Augen von den Resten der Asche. Als er nach mehreren Malen Blinzeln wieder sehen konnte, sprangen die beiden Feinde fast zeitgleich aufeinander zu, während der Mensch schrie und der Wolfling knurrte und jaulte. Der Brandschätzer war um einiges schneller und versuchte die letzten Meter zwischen ihnen durch einen Sprung zu überwinden. Der Söldner hatte nur auf diese Unüberlegtheit gewartet, die er nun schon einige Male bei diesen Geschöpfen beobachtet hatte, und wechselte mit einem raschen Seitwärtsschritt auf die unbewaffnete Seite des Angreifers. Dieser war nicht auf diesen Hinterhalt vorbereitet und konnte nur noch zusehen, wie sein Körper unausweichlich auf die Klinge des Breitschwertes zuraste. Ein Jaulen später rollte der Wolfskopf über dir Straße.
Der Söldner ging ermattet in die Knie, versorgte sein Schwert, als ein Schwindelanfall ihn überkam. Während des Kampfes hatte er den Mangel an Flüssigkeitsaufnahme der letzten Tage fast vergessen. Jetzt schien alles in seinem Körper zu rebellieren. Seine Knie zitterten. Er schloss die Augen, nur um herauszufinden, dass sich die Welt auch noch hinter geschlossenen Lidern Drehen konnte. Er schüttelte mit festem Willen die Schwäche von sich, erhob sich und ging wankenden Schrittes zu seinem Schild, der im Boden steckte. Er bückte sich gerade nach dem runden Metall, als ihn etwas von hinten ansprang. Fünf Krallen rammten sich in die Seite des Söldners und eine Wolfsschnauze verbiss sich in der Schulterplatte seiner Rüstung. Doch keine der natürlichen Waffen des unerwarteten Angreifers konnte den Stahl des Söldners durchdringen und ihn ernsthaft verletzen. Er fasste nach hinten und bekam die Bestie am Nacken zu fassen. Gleichgültig hörte er zu, wie einige der spitzen Zähne des Untieres brachen, als er es mit einem festen Ruck von sich riss und vor sich zu Boden schleuderte. Bevor der Wolfling aufstehen konnte, rammte der Söldner ihm seinen Stahlstiefel in den Magen und behielt ihn auf diese Weise unten.
Es war das Untier, welchem dem Söldner zu Beginn der Schlacht einen Arm abgehackt hatte. Aus der Wunde triefte immer noch Blut und die Bestie sah noch räudiger aus als ohnehin. Er fuchtelte mit seinem Schwert vor dem Gesicht des Untieres.
»Ich werde dir deinen Abgang erleichtern, wenn du mir einige Fragen beantwortest«, erklärte er dem hilflosen Wesen zu seinen Füßen. Er hoffte inständig, ein Exemplar mit rudimentären Sprachkenntnis vor sich zu haben. Und er hatte Glück.
»Kein Wort«, geiferte das Tier mit dem typischen Knurren und abgrundtiefem Hass im Blick.
Aus dem Mund quoll nun ebenfalls Blut hervor. Die abgerissenen Zähne hatten deutliche Spuren hinterlassen. Für einen flüchtigen Moment überfiel ihn fast so etwas wie Mitgefühl. Einen sehr flüchtigen Moment. Der Stiefel des Söldners lockerte sich, nur um abermals schmerzhaft in den Magen des Gefangenen gerammt zu werden. Rippen knackten und splitterten mit einem Geräusch, welches in den Ohren schmerzte. Das Biest winselte und krümmte sich.
»Sprich! Warum seid ihr als großes Rudel in dieser entlegenen Gegend?«
»Geht Mensch nichts an!«, bellte der Wolfling, wenn auch nicht mehr ganz so lautstark wie zuvor.
Der Söldner trat ein wenig mit dem Stiefel nach, was dem Gesichtsausdruck nach seine Wirkung nicht verfehlte. Doch er blieb weiter stumm. Der Spitz des Breitschwertes drang ins Fleisch des gesunden Armes, welcher noch vergeblich versuchte den Söldner zu erwischen. Dann drückte dieser die Extremität der Bestie auf den Boden. Dessen gelbe Augen verdrehten sich vor Qual, sodass die Pupillen nicht mehr zu sehen waren. Er holte sein Schwert zu einem Hieb aus.
»Reden!«, flehte das Untier und die Klinge bremste vor dem Arm ab. Der Wolfsgesichtige blickte mit aufgerissenen Lidern und schwerem Atem auf den gehärteten Stahl in der Nähe seines Fleisches und überprüfte reflexhaft alle Funktionen seines Armes, indem er jeden Finger einzeln bewegte.
»Geht doch!«, erwiderte der Söldner lächelnd. »Also, warum habt ihr dieses Dorf überfallen?«
»Hassen Menschen!«
Der Söldner blickte auf den Leichenstapel und frohlockte: »Das Morden ist euch wahrlich gut gelungen!«
»Rache«, geiferte der Wolfling nur noch schwächlich. Er schien langsam das Bewusstsein zu verlieren.
»Was treibt euch in diese Gegend?«
»Langer Marsch.«
»Und wohin sollte die Reise gehen?«
Die Augen des Wolflinge verdrehten sich wieder, die Zunge hing halb hinaus und war unter den roten Blut- und Speichelflecken grün und blau verfärbt. Er hatte nicht mehr lange zu leben und stotterte: »Tristurg.«
Der Söldner hatte von diesem Gebirge schon einmal gehört. Schreckliche Geschichten waren im Umlauf. Er meinte zu wissen, dass er im östlichen Teil des großen Erdreiches lag.
»Larsenor!«, rief er plötzlich laut seinem Gegner zu. »Liegt das Reiseziel im Lande Larsenor?«
Der Wolfling antworte nicht. Er schien nun endgültig abzutreten und schloss langsam die Augen. Wieder musste er sich einen Tritt mit dem Stiefel über sich ergehen lassen und er war sogleich wieder da.
»Liegt der Berg in Larsenor? Sag!«, setzte der Söldner nach.
»Nicht wissen«, hauchte das siechende Untier.
»Was wollt ihr dort? Warum nehmt ihr eine solch weite und gefährliche Reise auf euch?«
»Mächtiges Wesen …« Seine Augen glänzten bei diesen Worten.
»Was für ein Wesen?«, die Angelegenheit wurde immer aufschlussreicher.
»Stark, groß, mächtig!« Der Wolfling schien so kurz vor dem Tode regelrecht zu fiebern.
»Warum hat es euch nach Tristurg beordert?«
»Befehl!«
Der Wolfling brach abermals zusammen und er musste ihm erneut einen Tritt versetzten, obwohl zu befürchten stand, dass sein Gefangener nicht mehr viele überstehen würde. Der Blick des Wolflings wurde schlagartig klar und seine Stimme fest und schlotterte nicht mehr vor Schmerz, als hätte er die vorherige Schwäche nur gespielt.
»Eisenkrieger zu spät. Menschenreich verloren. Unser Sieg!«
Das folgende bellende Lachen war laut und gemein. Es passte nicht zu einem Sterbenden, sondern wirkte überlegen und siegessicher. Es widerte den Söldner an und lief ihm – trotz der Hitze – kalt den Rücken hinunter.
»Wer seid ihr?«, fragte er entsetzt, fast wie gelähmt.
Doch das Lachen wurde zu einem Husten und als der Söldner feststellen musste, dass er nichts mehr aus dem Wolfling herausquetschen konnte, beendete er das Zwiegespräch mit einem Schwerthieb.
Der Regen, welcher vor Kurzem übers Land gepeitscht war, hatte das Feuer zum größten Teil verebben lassen. Es hatte allerdings nicht mehr verhindern können, dass die meisten Häuser zu weiten Teilen zusammengefallen waren. Das Holz dampfte noch und gab einen grässlichen Gestank ab, während hier und da die Glut noch gierig zischte. Die Straße war gesäumt von Leichen und abgeschlagenen Gliedern. Menschliche und pelzige Körper lagen in Blutlachen, welche die Regenpfützen verfärbten und zu den verkohlten Trümmern ein groteskes Bild abgaben, in dessen Mitte der erschöpfte Söldner stand, der den Kampf und das Gesagte verdauen musste, während die Frau, welche er am Hügel angetroffen hatte, langsam und schwankend, wie im Delirium, den Pfad entlang lief über Leichen stieg und der Ohnmacht gefährlich nahe kam.
Sie kümmerte sich nicht um den Söldner und sie steuerte viel mehr die toten Körper der Bewohner an. Es dauerte nicht lange, bis sie ihren Mann fand und weinend über ihm zusammenbrach. Der Söldner konnte nicht viel mehr tun, als zu ihr zu gehen und sich bei ihr für sein Versagen zu entschuldigen. Er war selbst überrascht, wie ernst er es meinte, obwohl eher Bitterkeit, den Auftrag nicht erfüllt zu haben, mitspielte, als ein Gefühl des Verlustes für irgendeinen Dörfler. Die Frau antworte nicht und weinte verzweifelt weiter. Er hatte hier nichts mehr verloren. Wenn er die Trümmer anschaute, dann konnte man hier bestimmt keine Nahrung mehr finden. Er pfiff laut mithilfe zweier Finger und einen kurzen Moment später, hörte er die Hufen seines Pferdes traben, welches sich an ihn schmiegte und liebevoll an der Mähne getätschelt wurde. Dann sammelte er sein Schild auf und verstaute es wieder an seinem Rücken, bevor er sich in den Sattel seines Rosses hievte.
»Ich werde jetzt gehen«, sagte er zur Frau gewandt, ohne, dass er eine Antwort erwartete. »Hier hält mich nichts mehr.«
Er drehte sein Pferd und wollte davon reiten, als sie doch noch den Kopf hob und zu ihm sprach.
»Wartet! Was ist mit eurer Belohnung?«
»Ich habe sie nicht verdient. Außerdem habe ich Informationen erhalten, die weitaus mehr Wert sind, als alles was ihr mir bieten könnt. Wenn ich euch einen Rat geben darf, so sammelt alles Hab und Gut zusammen und fangt an einem anderen Ort ein neues, glücklicheres Leben an.«
»Danke!«
Die Tränen glitzerten auf ihren Backen, als wären die Sterne auf ihr gerötetes Gesicht gesunken, um mit ihr zu trauern.
»Kann ich euch sonst irgendwie helfen?«
»Mein Pferd und ich sind seit Tagen unterwegs mit wenig Wasser und ohne Nahrung.«
Die Frau blickte über den Trümmerhaufen, welcher einst ihre Heimat gewesen war.
»Ich glaube nicht, dass wir hier noch etwas Essbares finden. Doch gibt es einen Schöpfbrunnen nicht weit entfernt, immer dieser Straße entlang«, sie zeigte in die Richtung, in welche er zu reisen gedachte. »In den letzten Tagen trug er kaum noch Wasser, doch dank des Regenschauers wird er sicherlich ein wenig gefüllt sein.«
Der Reiter bedankte sich und wollte gehen, als sie ihm nachrief.
»Wie ist euer Name? Ich möchte von euren heutigen Taten erzählen. Wie ihr eine ganze Schar Wolflinge getötet habt.
»Ich habe nichts davon, wenn mein Name durch die Münder der Leute wandert.«
»Bitte!«
Er seufzte und sprach betont verhalten.
»Marek. Einfach nur Marek, der Söldner.«
Ihre Augenlider weiteten sich und der Tränenstrom brach abrupt ab. Erstaunt grüßte er nun endgültig zum Abschied und trat seine Weiterreise an. Ein leichtes Schmunzeln umspielte für eine Sekunde seine Lippen: Selbst hier hatte man also bereits seinen Namen vernommen.
Re: Erstes Buch: Die Wächter der Elemente
Leseprobe 2:
1. Kapitel: Mehr als nur Träume
Erschrocken von einem seltsamen Traum, schwang Bereth die Beine aus dem Bett und stützte den wirren Kopf haltsuchend auf seine Hände. Schwerfällig keuchend, als wäre er in den letzten Stunden ununterbrochen gerannt, saß er – am ganzen Leib zitternd – auf der Bettkante, seine schwarze Haut war blass und von Schweißtropfen überdeckt, die Augen sonst blutrot schimmernd lagen matt und farblos in den weit aufgerissenen Lidern. Sein Kopf fühlte sich schwer und verspannt an, als hätte ihn jemand während des Schlafes bis zum Rand mit Sorgen gefüllt. Er fasste sich mit seinen dunklen Händen, deren überaus schmale Finger an scharfe und gefährliche Krallen erinnerten, tastend an seine Schläfe, wobei er am liebsten seine Augen geschlossen hätte, doch die verweigerten selbst das Blinzeln. Seine Stirn glühte und fühlte sich fiebrig an, aber Bereth war sich sicher, dass er sich keine Krankheit zugezogen hatte. Es war nur wieder einer dieser Träume, die seit Tagen in jeder Nacht über ihn kamen und an seinen Kräften nagten, als wäre er ein lumpiger Hundeknochen zwischen den Kiefern eines Drachens.
Er saß eine Weile in diesem aufgewühlten Zustand in seinem Bett. Er konnte sich kaum rühren und seine Gedanken sprangen von einem Erinnerungsfetzen zum nächsten, bis seine Augenlider mehrere Male nacheinander auf und zu gingen und ihm einige kleine Tränen über das Gesicht rannen. Seine Pupillen bekamen allmählich ihre Farbe zurück, auch wenn das sonst so lebhafte Schimmern und Funkeln weiterhin von einem nervösen Zucken überdeckt wurde. Bereths Atmung hatte sich beruhigt und auch die Hautfarbe wurde wieder kräftiger.
Er erhob sich vom Bettrand und wusch sich am Waschtisch den Schweiß von der Stirn, während er seinen weit nach vorne ausgebildeten Kiefer zu einem lang gezogenen Gähnen aufklappte und seine spitzen Eckzähne zum Vorschein kamen. Er reckte stöhnend seinen zwei Meter hohen, vom Schlaf verspannten Körper, wobei sich selbst seine Stummelflügel ausbreiteten. Sie waren die sichtbarsten Überreste aus seines Urgroßvaters Linie, aber kaum zum Fliegen geeignet, da Bereth weder die Muskulatur besaß, um sich selbst in die Lüfte zu erheben, noch die Spannweite der Flügel ausreichend war, um mit seinem schweren Körper über dem Boden zu gleiten. Sie waren nicht mehr als störende Extremitäten.
Er verließ sein Zimmer, um in die Küche zu gelangen. Dort füllte er sich einen tönernen Becher mit Wasser, welches aus dem nahegelegenen Brunnen stammte, und trank in einem kräftigen Zug das Gefäß leer. Bereth merkte, wie die Frische und Kühle des Wassers in ihm neue Kräfte weckte. Aber der Effekt war nur von kurzer Dauer und er musste sich noch einmal nachschenken.
Nachdem sein Durst endlich gestillt worden war, ließ er sich auf einem Stuhl nieder, der unheilvoll knarrte. Bereth war immer noch nicht ganz über den Traum hinweggekommen und versuchte diesen sowie die weiteren der letzten Nächte zu rekonstruieren, um besser verstehen zu können, warum sie ihn auf diese seltsame Weise beschäftigten und plagten. Aber jedes Mal, wenn er sich zurückzuerinnern versuchte, fand er seine Gedanken und sich selbst in einer farb- und gestaltlosen Unendlichkeit wieder, welche außer seinem eigenen Körper nichts beinhaltete.
Bereth schaukelte nachdenklich auf dem ächzenden Stuhl vor und zurück, dessen Beine leicht durchgebogen waren und unter seiner Last nachzugeben drohten. Dann warf er erneut den Kopf in die Hände. Die Schmerzen waren plötzlich zurückgekehrt. Er benötigte dringend eine Beschäftigung, sonst würde sein Zustand kaum besser werden. Sein Vater hätte ihm sicherlich ein Mittel gegen die Kopfschmerzen verabreichen können oder zumindest eine kurzweilige Ablenkung für ihn gefunden. Nur war dieser wieder einmal bis spät in der Nacht weg gewesen und würde erst am Nachmittag schlechtgelaunt aufwachen.
Da Bereths Mund bereits wieder trocken war, wollte er seinen Becher mit den letzten Tropfen Wasser aus dem Krug auffüllen. Dabei erinnerte er sich sogleich an eine Tätigkeit, welche ihn über längere Zeit beschäftigen könnte, zumindest bis sein Vater aufstehen würde. Der hatte ihn schon seit Wochen gebeten, das Holz für den Winter zu hacken, da der Sommer vorbei war und die Herbsttage sich regnerisch und kalt zeigten. Bereth hatte diese Arbeit immer wieder aufgeschoben, da es in seinen Augen noch lange dauerte, bis die wirklich kalten Tage einsetzen würden und noch genügend Holz für den Küchenherd vorrätig war. Ihm erschien diese Arbeit in diesem Moment allerdings bestens geeignet, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.
Als Bereth aus dem Fenster sah und die dicke, graue Wolkendecke am Himmel erblickte, verspannte sich sein ganzer Körper von Neuem und er war sehr geneigt sich eine Arbeit im Trockenen zu suchen, doch mit einem Seufzer warf er sich seinen schwarzen Mantel um, der den ganzen Körper mitsamt Flügel umhüllte, und ging hinaus ins Grau des Tages. Die frische Luft tat seinem leicht fiebrigen Körper sofort gut und er atmete sie dankbar in tiefen Zügen ein.
Von seiner Haustüre aus konnte man die schäbigen Häuser des nahegelegenen Bergdorfes erkennen, welche sich mit der großen Hütte, in der Bereth und sein Vater wohnten, kaum messen konnten. Auf einem abgelegenen Hügel jenseits des Dorfes lag ein altes Bauernhaus, das unlängst zu einem protzigen Herrenhaus umgebaut worden war, wo es an einen dichten und ausgedehnten Wald angrenzte. Das Dorf konnte man zwar in wenigen Minuten erreichen, aber der Abstand war ausreichend, um den Sonderling Bereth und die Dorfbewohner, welche hauptsächlich dem Menschen- und dem Zwergenvolk angehörten, auf sichere Distanz zu bringen.
Mit einem sehnsüchtigen Blick zurück zur Haustüre und dem warmen Inneren lief er um die Hütte zu einem kleinen Werkzeugschuppen, der nach seinem Empfinden eher Abstellkammer für nutzlose Gegenstände hätte genannt werden müssen. In ihm lagen nebst der zentimeterdicken Staubschicht allerhand rostige Werkzeuge, welche ab und zu einmal gebraucht wurden, aber keinen wirklichen Nutzen hatten. So die Gießkanne und auch die Handschaufel, welche im weitestgehend pflanzenlosen Garten jegliche Aufgabe verloren hatten. Daneben lag ein stielloser Hammer und einige verbogene, rostbraune Nägel fanden sich ebenfalls, die beim näheren Betrachten regelrecht zu Staub zerfielen. Außerdem gab es abgewetzte Feilen in allen erdenklichen Varianten und Größen, ein Schenkel einer Zange sowie eine vollkommen verbogene Heckenschere, die selbst Bereth mit seinen kräftigen Armen nicht mehr bewegen konnte. Es musste irgendwo unter all dem Gerümpel ein Holzbeil liegen. Immerhin ein Objekt im ganzen Schuppen, welches halbjährlich zum Einsatz kam, wenngleich auch das Beil es jedes Mal aufs Neue schaffte, zu unterst im Unrat zu verschwinden.
Bereth legte eine Heugabel zur Seite, die davon zeugte, dass die meisten Werkzeuge hier noch vom Vorbesitzer des Hauses stammten, räumte einen Laubrechen vom Boden auf, wobei er sich fragte, wann er oder sein Vater wohl das letzte Mal Laub zusammengetragen hatten und schließlich warf er noch seufzend einen zerzausten Besen aus dem Schuppen, der im Haus besser zu gebrauchen war als hier. Nur von dem gesuchten Beil fehlte jegliche Spur, obwohl sich Bereth sicher war, dass es hier irgendwo liegen musste.
Er wollte bereits sein Vorhaben abbrechen, als er das Gesuchte unter einer zahnlosen und daher unbrauchbaren Handsäge fand. Vorwurfsvoll starrte er auf das verstaubte Ding. Bereth nahm das Beil hoch und warf es kunstvoll in die Luft, damit es sich einmal um seine eigene Achse drehen und er es mit seinen gelenken Fingern fangen konnte. Mit kräftigem Griff schwang er das Werkzeug hin und her, als wollte er jemandem den Kopf spalten. Verblüfft über seinen eigenen Reflex, grübelte er kurz, warum er wohl das Beil gerade wie eine Waffe geschwungen haben mochte. Bereth schüttelte aber nur leicht den Kopf angesichts des Übermutes, verließ den Schuppen und wollte an nichts mehr denken und sich voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren.
Hinter dem Haus stand ein großer Baumstumpf, der bereits durch unzählige Axthiebe verunstaltet worden war und an der Hauswand entlang lagen sorgfältig aufgestapelt die zurechtgesägten Holzstämme. Bereth stellt das erste von vielen Stücken Holz auf den Baumstumpf, während es nun zu allem Überfluss zu nieseln begann. Er hätte wohl doch lieber in seinem Bett bleiben sollen, besonders weil er sich nicht kräftig genug für diese Arbeit fühlte. Aber dort im warmen, trockenen Zimmer warteten nur die hohlen Erinnerungen an die kraftzehrenden Träume auf ihn. Die bitteren Gedanken verdrängend holte er mit dem Beil weit aus und schlug auf das Holz ein. Es schien, als hätte er doch noch mehr Kraft in sich als vermutet. Das Beil glitt mühelos durch den Klotz, welcher sogleich brav in zwei Stücke zerfiel.
Er teilte die beiden Hälften abermals und ging schließlich über zum nächsten Stamm. Mit jedem neuen Stück, das er trennte, stieg die wohlige körperliche Wärme in ihm auf, bis Schweiß über seine Haut perlte und er – als bereits ein kleiner Haufen Brennholz sich neben ihm auftürmte – seine Muskeln zu spüren begann. Die Arbeit wollte ihm immer mehr gefallen und sein Blut geriet in Wallungen. Er versuchte immer schwungvoller und extravaganter die Holzscheite zu spalten. So wurden auch seine Bewegungen immer spielerischer und obwohl er die Holzstücke nunmehr in Kleinholz denn in denn brauchbare Scheite zerklüftete, war er nicht zu bremsen. Dann geschah das Unvermeidliche. Voller Zorn blickte er auf den abgebrochenen Schaft des Beiles in seiner Hand. Der Keil mitsamt dem Holzstummel des Stiels steckte in einem großen Klotz fest.
Er verlor vollends die Kontrolle und sein Blut fing regelrecht an zu kochen. Er warf den nun wertlosen Stiel mit einem gellenden Wutschrei zu Boden und stampfte ihn in einem Zornestanz in den Dreck. Dann fegte er mit seiner Faust den noch ganzen Holzklotz vom Baumstumpf. Den Schmerz in der Hand ignorierend trat er schließlich gegen die Hauswand, bis der Holzstapel zu Boden ging. Unterdessen waren seine Schreie so laut geworden, dass man ihn wahrscheinlich noch im Tal unten hören konnte.
Von diesem Spektakel geweckt, torkelte ein Zwerg mit rostbraunem Haar und einem ebensolchen Vollbart schwerfällig an der Hauswand entlang, bis zu der Stelle, wo sich Bereth austobte. Bei dessen Geschrei fasste er sich an den Kopf, dorthin wo einst seine rechte Augenbraue gewesen sein musste. Mit der verbliebenen linken Augenbraue, dem von langen, alkoholdurchtränkten Nächten roten und faltigen Gesicht sowie dem für Zwerge so typischen, grimmigen Blick, wirkte das kleinwüchsige Wesen wie das Bildnis eines mürrischen Greises, obwohl er doch ein für sein Volk noch junges Alter besaß.
»Bereth, was ist geschehen? Warum veranstaltest du hier ein solches Theater?«, rief er seinem Sohn mit kräftiger Stimme zu. Dieser hatte das Ankommen seines Vaters nicht bemerkt, aber in dem Moment, als er die Stimme des Zwerges vernahm, verstummte er.
Die zwei Meter hohe, schwarzhäutige und rotäugige Bestie Bereth hatte wahrlich äußerlich nichts mit seinem Vater, einem, wenn man großzügig seinen buschigen Haarschopf hinzurechnete, ein Meter zwanzig hohen Zwerg namens Terbu, gemein. Sein Aussehen kam deutlich von seiner Mutter her, die bei der Geburt des kräftigen Jungen ihr Leben verloren hatte.
Terbu musterte nun besorgt seinen Sohn, der mit jeder Sekunde immer elender dreinblickte, bis nur noch eine verbitterte und kraftlose Gestalt vor ihm stand. Seit mehreren Tagen hatte er bereits das Gefühl, das etwas mit Bereth nicht stimmen konnte. Irgendwie hatte er wohl erhofft, es würde sich alles wieder von selbst einrenken, doch nach dem heutigen Ereignis befürchtete er, dass es nicht so einfach werden würde. Vor ihm stand nicht mehr der Junge, welcher von den anderen Kindern des Dorfes als Monster beschimpft und mit Steinen beworfen worden war und trotz allem noch trotzig grinste, wenn er ihm das brennende Desinfektionsmittel über die Wunden geschüttet hatte. Und er war auch nicht mehr das abenteuerlustige Kind, welches auf eigene Faust den Wald durchforstete und erst spät am Abend mit blutigen Knien und einem trotzigen Lächeln zurückkam. Vor ihm stand ein junger Mann, der trotz seiner abschreckenden Erscheinung Bedürfnisse nach sozialen Bindungen besaß, auch wenn er von den anderen Leuten nicht akzeptiert wurde. Und dies war Terbus größte Sorge: Mit seinen nächtlichen Besuchen in der Taverne fühlte er sich mitverantwortlich für die Einsamkeit dieses Sonderlings.
Der Zwerg wusste nicht so recht, wie er seinen Sohn aufmuntern sollte. So wollte er ihn in ein Gespräch verwickeln, damit von seinen Sorgen berichten möge.
»Was ist geschehen?«, fragte Terbu erneut, da er keine Antwort erhalten hatte, und achtete auf jede von Bereths Reaktionen. Aus irgendeinem Grund sagte dieser aber nur: »Das Beil ist gebrochen«, und zeigte auf den Keil, der immer noch im halb gespaltenen Holzscheite steckte und auf der Erde lag.
»Und dies ist der Anlass für den Radau, den du hier veranstaltest?«, spöttelte der Zwerg. »Dann besorgen wir eben einen neuen Stiel. Dies ist doch noch lange kein Grund, das ganze Haus auseinanderzunehmen.«
Bereths Augen waren auf den Boden geheftet und mieden des Vaters Blicke. Er wusste nur zu gut, wie kindisch sein Wutausbruch gewesen war, und schämte sich, Terbu auf diese Art geweckt zu haben. Der hingegen blickte sorgenvoll hinüber zu seinem Sohn. Er besaß so viele Gemeinsamkeiten mit seiner verstorbenen Mutter, weit über das Äußere hinausgehend. Auch sie war bereits ein besonderes Wesen gewesen, die das Blut verschiedener Völker in sich getragen hatte.
Alles hatte begonnen mit einer verbotenen Liebe zwischen einer Elfenfrau und einem Dämon. Elfen und Dämonen gehörten zu den ältesten Völkern, ihre Geschichte ging weit über die der Menschen und auch die der Zwerge hinaus. Die grundlegenden Unterschiede der beiden Völker hatten zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen geführt und schließlich in einem langjährigen Krieg geendet. Auch wenn dieser Krieg bereits Jahrhunderte her war, so blieb der Zwist zwischen den beiden Völkern bis zur heutigen Zeit erhalten. Eine Beziehung zwischen einer Elfin und einem Dämon war selbst dieser Tage undenkbar und doch war es damals dazu gekommen, wenn zuerst auch nur im Verborgenen.
Terbu fragte sich, ob die Vorfahren von Bereth eine solche Beziehung eingegangen wären, hätten sie von dem Leid gewusst, welches sie ihren Nachfahren dadurch zugeführt hatten. Andererseits wusste er am besten, dass die Liebe ganz eigene Wege ging. Sein Leben war gezeichnet von den überraschenden Irrungen und Wirrungen der Liebe.
Als in Vorzeiten die Elfin schließlich Schwanger geworden war, hatten sie ihre Liebe nicht mehr geheim halten können. Der Dämon wurde für seine Tat von seinem Volk hingerichtet. Die Elfin wurde mitsamt Kind aus ihrer Heimat verbannt. Eine erbarmungslose Entscheidung ihres Volkes, da die Dämonen ein solches Kind nicht hatten akzeptieren wollen und die Beiden aufs bitterste von den Beflügelten verfolgt wurden. Die Elfin hatte eine schwere Entscheidung treffen müssen. Sie hatte in ihrer Not das Kind einem menschlichen Jäger in einem abgelegenen Wald anvertrauen müssen, während sie die Dämonen auf eine falsche Fährte zu locken versucht hatte. Von ihr hörte man nie wieder etwas und der Jäger und seine Familie mussten für das Kind sorgen, bis es zu einer jungen Frau herangewachsen war und sich mit dem Sohn des Jägers vermählte. Auch sie gebar wiederum eine Tochter, bei der das dämonische Erbe nicht zu leugnen war. Es handelte sich um Bereths Mutter, die bereits mit jungen Jahren gegen den Willen ihrer Eltern die Abgeschiedenheit, in welcher die Jägersfamilie lebte, verlies, um die weite Welt zu sehen.
Doch fast alles was sie erleben musste, war Zurückweisung und Einsamkeit. Kaum Siedlungen, welche sie bereiste, wollten ein solch absonderliches Wesen lange dulden und sie wurde immer wieder verjagt, an welches Volk sie sich auch gewandt hatte. Dies dauerte an, bis sie den sonderlichen Zwerg auf ihrer Reise angetroffen hatte und sich mit diesem in einem abgelegenen Bergdorf niedergelassen hatte.
Terbu wusste nicht, wie sein Zwergenblut, das sich nun zum menschlichen, dämonischen und elfischen Blut gesellte, seinem Sohn wirklich helfen sollte. Drum hatte er schon viele Male darüber nachgedacht fortzugehen und in einer Großstadt wie Mengan zu leben, wo unterschiedliche Rassen und Kulturen aufeinandertrafen und Bereth sich unter den Menschen, die an seltsame Wesen gewohnt waren, wahrscheinlich wohler fühlen würde, als an solch einem abgelegenen Ort, wo alles Anormale verhöhnt und gemieden wurde. Nur hatte er sich nie von der Hütte trennen können, in welcher er und seine Frau ihre wenigen gemeinsamen Jahre glücklich verbracht hatten. Aber es war wohl an der Zeit, noch einmal ernsthaft über einen Umzug nachzudenken.
Angesichts des nun kräftigen Regens griff Terbu seinen Sohn am Arm und führte ihn zur Haustüre.
»Lass uns etwas warmes Trinken und dann erzähle mir, was dich wirklich bedrückt«, sagte der Zwerg noch, doch Bereth hörte ihm schon nicht mehr zu, seine Gedanken waren in die Ferne abgeschweift. Dennoch folgte er seinem Vater widerstandslos ins Trockene.
Dort gelang es Bereth endlich, sich wieder zu beruhigen, während er mit Terbu einen warmen Tee trank und ihm von seinen Träumen erzählte, die in den letzten Tagen ihn Nacht für Nacht übermannt hatten. Aber der alte Zwerg wusste kein Mittel dagegen und versuchte ihn mit der Aussicht zu beruhigen, dass die Alpträume sich mit der Zeit ganz gewiss legen würden. Er hatte mit anderen Problemen seines Sohns gerechnet. Träume, die mochten vergehen, so wie sie kamen, war des Zwergen feste Überzeugung, der solcherlei Spuk nicht viel Gewicht beimaß. Sie schlürften noch gemeinsam ihren Tee.
Als Terbu ihn alleine zurückließ, musste Bereth eine neue Beschäftigung finden. Er ging die Treppe hinunter, die in den Keller des Hauses führte, und fand sich am alten Arbeitsplatz seines Vaters wieder, der seit Jahren nur noch dazu diente, meist nutzlose wie zu Bruch gegangene Erfindungen, welche Terbu einst ersonnen und konstruiert hatte, aufzubewahren.
Früher, noch bevor er das Vermögen seines Onkels geerbt hatte, war der Zwerg weit umhergereist und hatte versucht seine seltsamen Erfindungen zu verscherbeln. Oder er hatte den Leuten seine geschickten Hände angeboten und ihre Sachen gegen Entlohnung oder etwas Warmes zu Essen repariert. Wenn Bereth jedoch das Gerümpel hier unten aufrichtig besah, wusste er, sein Vater musste hauptsächlich vom Mitgefühl seiner Kunden gelebt haben.
Sein Interesse galt jedoch nicht dem vielen Schrott. Er war vielmehr auf der Suche nach einem alten Spielzeug. Bereth fing folglich an, das Gerümpel zu beräumen und einige der vielen Gegenstände weckten lebhafte Erinnerungen. So der Spannkolben zum verschießen von Eisenkugeln, der statt eines wilden Tieres die Augenbraue seines Vaters zerfetzt hatte. Oder das von Terbu selbstgezimmerte Holzgestell mit zwei runden Scheiben, das zum Fortbewegen gedacht gewesen war, ihn aber aufgrund eines Achsbruches nur gegen den nächsten Baum befördert hatte. Nach langem Suchen fand er schließlich das Objekt der Begierde in einer zerdrückten Holzkiste, auf der ein unglaublich schwerer, riesiger Metallklotz lastete. Trotz der beginnenden Fäulnis der Kiste sah die selbst gefertigte Waffe noch gut erhalten aus. Das Holzschwert hatte die Abmaßen eines richtigen Breitschwertes, obwohl die Klinge dicker war und eher einem Prügel glich. Der Griff war mit einem abgewetzten Lederband umwickelt, welches den Träger vor dem rauen Holz schützen sollte.
Er konnte sich noch gut erinnern, wie ihm als kleiner Junge das alte Kurzschwert von Terbu zwischen die Krallen gekommen war. Der Zwerg hatte es zum Selbstschutz gekauft, als er noch alleine mit seinen Erfindungen die Welt bereist hatte. Den Umgang mit der Waffe hatte er bei einem alten Soldaten erlernen können, bei dem Terbu eine Weile als Gehilfe gedient hatte. Als er sich hier unweit des Bergdorfes niedergelassen hatte, geriet das Schwert irgendwo im Keller in Vergessenheit, bis der Zwerg seinen Sohn eines schönen Tages damit spielen sah. Bereth hatte seinen Vater noch nie so zornig erlebt und obwohl er sonst nie laut wurde, war sein Geschrei über den ganzen Berg gehallt, und Bereth hatte die Waffe nie mehr zu Gesicht bekommen.
Durch solche Rückschläge hatte er sich jedoch nicht entmutigen lassen. Er hatte Blut geleckt und wollte fortan mehr davon. Er durchsuchte den Wald nach einem passenden Ast, den er wie ein Schwert schwingen konnte. Doch der Stecken wurde bald eintönig. Wieder durchforstete er die Holzungen, bis er mit einem stämmigen Knüppel, der die richtige Länge und Breite besaß, zurückkam und anfing diesen zurechtzuschnitzen, bis sein Vater den Jungen bei seiner Arbeit erwischt hatte. Doch statt den erwarteten Beschimpfungen half er bei der Fertigstellung und kaufte ihm sogar ein Stück Leder. So war er zu seinem ganz persönlichen Breitschwert gekommen.
Als er die Holzwaffe aus der Kiste entnahm, schmiegte sich der Griff wunderbar in seine Hand und lag sofort wieder fest zwischen seinen Krallen. Sein Vater hatte ihm einige Bewegungen beigebracht und jene, an die er sich noch gut erinnern konnte, probierte er sogleich aus. Befriedigt steckte er schließlich das Schwert in seinen Hosengurt, als hätte er dort eine Scheide befestigt und begab sich nach oben.
Obwohl der Himmel weiterhin eintönig grau war und es fortgesetzt regnete, verzichtete er auf seinen Mantel, da er keinen überflüssigen Stoff gebrauchen konnte, der ihn in seinen Bewegungen behinderte. Stattdessen trug er einen speziell für ihn angefertigten Lederharnisch, den Terbu ihm besorgt hatte. Damals war der Zwerg, ohne ein Wort zu sagen, für ein paar Tage verreist gewesen, was Bereth eigentlich kaum gestört hätte, wenn er nicht auch an seinem Geburtstag abwesend gewesen wäre. Erst in der Nacht kam Terbu erschöpft, ausgehungert und bis auf seinen kleinwüchsigen und behaarten Körper durchnässt nach Hause und übergab seinem Sohn voller Stolz das Geschenk.
Da es in dem kleinen Dorf keinen Laden für Rüstungen und Schutzbekleidungen gab, hatte Terbu bis ins Tal wandern müssen, um in der Stadt Mengan nach dem Gewünschten zu suchen. Da die Spezialanfertigung jedoch seine Zeit benötigte, bis sie fertiggestellt war, verlor der Zwerg jegliches Zeitgefühl in der örtlichen Taverne und hatte schließlich den weiten und beschwerlichen Heimweg in einer Sturmnacht auf sich nehmen müssen, um den Geburtstag seines Sohnes nicht völlig zu verpassen.
Bewaffnet und gut gerüstet watete er nun durch den fußtiefen Matsch, den der Regen beschert hatte und der sein Schuhwerk forderte. Er erreichte die ersten dichten Stellen des Waldes jenseits des Ortes, den er weitaus besser kannte als das Bergdorf und dessen Ruhe er ungemein schätzte. Ungeachtet der nassen Füße ging er weiter, bis er einen in dem dichten Unterholz kaum erkennbaren Pfad erreichte, den er einst selbst in den Waldboden gestampft hatte, weil weder die Tiere noch die Menschen den Ort, zu dem Bereth wollte, nutzten, da es eine tote Stelle in dem weitläufigen Bergwald zu sein schien. Gemieden von den Waldbewohnern war es der rechte Ort für Bereth.
Er kämpfte sich noch fast eine halbe Stunde durch das Unterholz, bis er die gewünschte Stelle erreicht hatte, die durch eine wallartige Anhöhung verdeckt lag. Dahinter lagen Dutzende tote und umgefallene Bäume kreuz und quer, deren leb- und blattlose Äste sich wie ungeordnete und knochige Arme in alle Himmelsrichtungen ausstreckten. Hier an diesem düsteren Ort lebten wahrscheinlich nicht einmal mehr Insekten unter der morschen Rinde. Es war als hätte er eine Türe in eine andere Welt aufgestoßen. Bereth fühlte sich an diesem trostlosen Ort, der vor fremden Blicken sicher war und den nicht einmal der kalte Wind zu küssen schien, wohl und geborgen.
Der Boden hier war hart und nur leicht feucht. Zuerst begann er nur zaghaft mit seinem Holzschwert auf einen der vielen morschen Äste einzuschlagen und probierte einige Bewegungen aus, die ihm einst sein Vater gelehrt hatte. Spielerisch gab er dazu einige Kampfschreie von sich, bis der Ast immer härtere und variantenreichere Hiebe erdulden musste und Bereths Getöse immer furchterregender wurde und jegliches Lebewesen verjagt hätte, wenn an diesem trostlosen Ort auch nur eines existiert hätte.
Mit jedem weiteren Schlag spürte er die Anspannung in seinem Körper und den Schweiß, der seinen erhitzten Körper hinabrann. Wie beim Holzhacken fühlte er sich befreit von allen überflüssigen Gedanken, nur der Feind war von Belang und die Schläge wurden immer fester und sicherer. Er wechselte die Stellung und suchte sich hastig ein neues Ziel, auf welches er so lange eindrosch, bis sich die dunklen, blattlosen Bäume in seinen Gedanken in Soldaten verwandelten und ihre langen Äste sich als tödliche Lanzen und Schwerter entpuppten. Immer mehr von ihnen tauchten vor seinem inneren Auge auf, doch er ließ sich von dieser Überzahl nicht einschüchtern. Mit Händen und Füßen wehrte er sich, zerschlug die Waffen seiner unzähligen Feinde, wich tödlichen Hieben aus und nutzte jede Blöße gnadenlos aus.
Die späten Herbsttage brachten eine frühe Nacht und Bereth blickte in den dunkel werdenden Abendhimmel, während leichte und vereinzelte Regentropfen seine tiefschwarze Haut nässten. Er wollte heim und kämpfte sich durchs Unterholz. Als der Wald sich lichtete, beschleunigte er und schnellen Schrittes passierte er bereits die ersten Hütten des Ortes, erschöpft aber zufrieden, denn er hatte alle seine Feinde besiegen können. Ausnahmsweise, weil er spät dran war, nahm er die Abkürzung durch das Dorf und nicht den Umweg durch den Wald, den er sonst immer nutzte. Bereth bereute seine Entscheidung jedoch sogleich, als er auf der Straße fast eine unachtsame Frau angerempelt hätte. In dem sie ihre Hände vor den Mund hielt, verhinderte sie einen Entsetzensschrei. Dann ging sie hastig an ihm vorbei, ohne ihm in die Augen zu schauen oder sich zu entschuldigen. Es war nicht zu übersehen, dass sie so schnell von dem Sonderling weg wollte, wie es nur ging. Kaum einige Schritte weiterlief er an einigen tratschenden Frauen vorbei, die anscheinend gerade noch die letzten Besorgungen beim Markt gemacht hatten. Als sie ihn bemerkten, brachen sie ihr Gespräch ab und glotzten ihm nach, bis er an ihnen vorbeigezogen war. Klar und deutlich hörte er eine der Frauen sagen.
»Was macht der den hier?«
»Und in solchen Kleidern und derart verdreckt. Der führt nichts Gutes im Schilde!«, erwiderte eine andere.
Bereth wurde mit Dreck beworfen. Einige Kinder hasteten lachend davon. Er beeilte sich. Er wollte nach Hause, so schnell es ging. Die Dorfleute scherten sich nicht um ihn und er wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Es war jedes Mal das Gleiche, wenn er an diesen verfluchten Ort kam. Die Leute machten keinen Hehl daraus, dass er unerwünscht hier war. Doch wieder wurde er aufgehalten, wenn dieses Mal auch durch eine freundlich gesinnte Stimme. Der Wirt der einzigen Taverne des Dorfes, Dsenk stand vor dessen Türe und winkte ihn zu sich. Der runde Zwerg mit gekämmtem Vollbart und einer im Laternenlicht schimmernden Glatze war die einzige Person im Dorf, welche ab und zu ein Wort mit Bereth wechselte. Terbu war schließlich der wichtigste Kunde des Zwerges, da dieser fast jeden Abend in der Taverne auftauchte und Zwerge waren bekanntlich trinkfeste Gesellen.
»Bereth, gut, dass ich dich sehe. Dein Vater hat seinen Mantel heute Morgen liegen lassen.«
»Sie können ihm diesen heute Abend persönlich geben. Er wird bestimmt vorbeischauen.«
»Nein, nein. Wenn du schon hier bist, dann kannst du sie ihm auch nach Hause bringen. Bei dem Wetter will ich nicht das der Narr sich verkältet. Ein hustender und rotzender Zwerg trinkt nicht so viel wie ein gesunder. Warte kurz. Ich gehe ihn holen.«
Ungeduldig wartete Bereth vor der Taverne. Er spürte überall Blicke auf sich. Er sah in einer Gasse gegenüber unter einem Vordach eines Hauses vier Jugendliche stehen. Er kannte sie gut. Sie waren die einzigen im Dorf, die ungefähr im gleichen Alter wie Bereth waren. Es handelte sich um einen schlaksigen, großen Jungen mit dem Namen Mugra. Er war ein Großmaul und versuchte die zwei Mädchen mit seinen Räubergeschichten zu beeindrucken. Etwas im Schatten von Mugra stand sein Kleiner Freund Duma, den man wegen der Größe und dem runden Bauch gerne mit einem Zwerg verwechselte.
Als Kind hatte er sich mit den beiden Anfreunden wollen. Doch war er nie von ihnen akzeptiert worden. Wenn sie ihm einmal das Mitspielen erlaubt hatten, dann hatte dies meistens in einem üblen Streich auf Kosten des Sonderlings geendet. Weshalb er gelernt hatte, sich von den Beiden fernzuhalten.
Sie hatten Bereth bemerkt. Mugra starte hämisch zu ihm rüber und machte die anderen auf ihn aufmerksam. Die Mädchen verzogen angewidert die Nase, ignorierten ihn aber sogleich wieder. Nur der hagere Jugendliche starte ihn weiter an. Mit einem breiten Grinsen sagte er etwas zu seinen Begleiterinnen, die sofort zu lachen begannen. Duma lachte höfflich mit. Bereth musste den Witz nicht hören, um zu verstehen, dass dieser auf seine Kosten gegangen war. Er hasste diesen Ort.
»Hier ist der Mantel«, sagte Dsenk, der wieder nach draußen gekommen war und streckte ihm das Kleidungsstück hin. Bereth nahm es an sich.
»Ach, lungern diese Unholde schon wieder hier herum«, sagte der Zwerg, dem der zornige Blick von Bereth nicht entgangen war. »Kümmere dich nicht um die. Sieh zu, dass du nach Hause kommst.«
Bereth war sich nicht sicher, ob der Zwerg den letzten Satz als gutgemeinten Ratschlag oder eher als Aufforderung von sich gegeben hatte, weil er möglicherweise Kunden vertrieb, wenn er noch länger hier herum stand.
»Natürlich. Das werde ich. Danke, für den Mantel.«
Der Wirt verabschiedete sich und war bereits wieder in der Taverne verschwunden. Er konnte Stimmen im Innern vernehmen. Die Kundschaft war bei dem Wetter bereits zu früher Stunde zahlreich. Bereth drehte sich zur Straße um, als er von einem Mann angerempelt wurde. Er stürzte in den Schlamm und der Mantel fiel in eine Pfütze.
Verärgert stand er wieder auf und richtete sich zu dem ungehobelten Kerl auf. Vor ihm stand ein grobschlächtiger Mienenarbeiter, kräftig gebaut und kaum kleiner als der großgewachsene Bereth. Er sah ihn angriffslustig an. Die hiesige Goldmiene war der Entstehungsgrund des abgelegenen Bergdorfes gewesen und hatte viele Zwerge aber auch Menschen hierher gelockt. Auch Mugras Vater war so einst ins Dorf gekommen, um sein Glück zu versuchen. Doch das Gold versteckte sich immer tiefer im Gebirge und wurde immer weniger. Die Arbeit in den Mienen war hart und die Entlohnung der Arbeiter nur noch gering. Was dem Gemüt der Männer nicht gerade wohl tat. Der Alkoholkonsum half da nur selten.
Er wollte sich jedoch nicht in unnötige Scherereien verwickeln lassen, entschuldigte sich voreilig und nahm stillschweigend den Mantel hoch und befreite diesen vom Dreck. Während der Mienenarbeiter unfreundlich grunzend an ihm vorbei in die Taverne ging, konnte Bereth von Mugra und seiner Begleitung Gelächter hören. Er ignorierte sie und wollte hier nur noch weg. Aber heute schien ihm wirklich nichts gegönnt zu sein. Anscheinend wollte Mugra den jungen Frauen imponieren und war dementsprechend auf Krawall gebürstet. Doch Bereth machte sich hastig davon.
»He! Warte doch«, rief ihm Mugra nach. »Kannst du nicht einmal einen alten Freund grüßen?«
»Freund? Jedes Mal wenn du mich deinen Freund nanntest, durfte ich den Sündenbock für deine Untaten spielen oder wurde zur Zielscheibe deiner Streiche. Lass mich in Frieden!«
Doch Mugra hatte Bereth überholt und versperrte ihm nun den Weg. Die anderen hatten sensationslüstern zu den beiden aufgeschlossen, wenngleich sie sich auf sicherer Distanz hielten.
»Was ist denn mit dir los? Früher hast du immer gebettelt, bei uns dabei sein zu dürfen. Wir haben dir immer nur einen Gefallen tun wollen. Nicht wahr Duma«, heuchelte er. »Jetzt tust du so, als würdest du uns nicht einmal mehr kennen. Hatten wir den keinen Spaß zusammen?«
»Ihr hattet euren Spaß, ja. Nun lass mich vorbei. Ich muss nach Hause.«
Mugra blickte zu den beiden jungen Frauen hinüber, die gelangweilt wirkten und auf einmal war sein Tonfall schlagartig verändert, regelrecht aggressiv, während er Bereth plötzlich mit einer Hand am Kragen packte, um diesen am Gehen zu hindern.
»Du hältst dich wohl für etwas Besseres. Lebst mit deinem Vater in dieser riesigen Hütte abseits des Dorfes. Wahrscheinlich lacht ihr dort über uns ärmliche Dorfleute, darüber dass unsere Väter hart in den Mienen arbeiten müssen und nicht stinkreich sind wie ihr und sich nicht den ganzen Tag besaufen können!«
Bereth schlug die Hand des anderen weg.
»Lass meinen Vater aus dem Spiel! Wir tun nichts dergleichen. Ihr Dorfleute seid es doch, die uns nicht in Ruhe lassen wollt!«
Doch Mugra ließ nicht locker. Dieses Mal packte er sein Gegenüber mit beiden Händen. Duma wollte etwas sagen. Es reichte allerdings ein Blick seines Anführers, um ihn zum Verstummen zu bringen.
»Weshalb wohl? Habt ihr in eurem ganzen Haus den keinen Spiegel. Du bist einfach nur eine abscheuliche Kreatur. Ich habe gehört, deine Mutter hat kaum besser ausgesehen. Kein Wunder, dass die Leute über deinen Vater reden. Er muss schon ein besonders seltsamer Zwerg sein, der sich mit etwas derart Abartigem einlässt.«
Bereth spürte wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Er war es gewohnt, hinter seinem Rücken Sprüche über sich anhören zu müssen und er hatte gelernt damit um zu gehen. Doch in dem er seine Eltern beleidigte, ging Mugra viel zu weit und er merkte, wie dieser Zorn ihn übermannte. Bevor er jedoch in seiner Wut etwas Unüberlegtes tun konnte, fuhr eine erzürnte Stimme dazwischen.
»Mugra! Verflucht, was machst du um diese Zeit hier! Habe ich nicht gesagt, du sollst deiner Mutter helfen!«
Es war der kräftige Haan, Mugras Vater, der dem Aussehen nach den ganzen Tag in den Mienen geschuftet haben musste. Seine Laune verhieß eine schlechte Tagesausbeute.
»Lass dieses schwarzhäutige Ding gefälligst los! Du hast keine Ahnung, was solcher Abschaum alles für Krankheiten übertragen kann!«
Mugra ließ umgehend von Bereth ab. Sein Vater zog ihn von dem Sonderling weg, ohne diesen auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Du kleiner Lümmel. Es wird Zeit, dass ich dir wieder einmal Manieren beibringe. Wenn ich sage, du sollst deiner Mutter helfen, dann tu dies gefälligst auch und lunger nicht hier draußen herum!«
Das herrische Wesen von Mugras Vater duldete keine Widerrede. Der erwachsene Sohn wurde wie ein dummer Schuljunge fortgezogen. Dabei blickte dieser zurück zu Bereth. Der erzürnte Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er ihm die Schuld für alles gab und dass dieser Vorfall noch ein Nachspiel haben würde. Aber keiner schien Mugras Sache fortführen zu wollen und sie gingen alle davon. Bereth konnte dies nur recht sein.
Als er das Haus betreten hatte, fand er Terbu, wie dieser den halben Wohnbereich durchwühlte. Wahrscheinlich suchte er nach seinen Mantel. Bereth übergab ihm das Kleidungsstück.
»Wo warst du?«, fragte der Zwerg und nahm ihn verwirrt an sich.
»Im Wald.«
»Ich habe wohl kaum meinen Mantel im Wald vergessen.«
»Nein, in der Taverne. Ich bin nur der Überbringer.«
Terbu schaute seinen Sohn besorgt an. Der ganze Dreck und die Kriegsbekleidung wunderten ihn dabei noch am geringsten. Viel eher betrübte ihn der erzürnte Gesichtsausdruck. Er hatte selten gesehen, dass die blutroten Augen derart funkeln konnten. Es war fast, als würde er einem Raubtier direkt in die Augen schauen.
»Was ist denn geschehen, mein Junge?«
»Nichts!«
»Bitte. Ich bin dein Vater. Rede mit mir!«
»Es gibt nichts zu bereden, Vater. Glaube mir.«
Bereth ging entschlossen in sein Zimmer und verriegelte hinter sich die Türe. Er legte sich, noch immer von dem Streit entrüstet, auf sein Bett. Er hörte die Dielen knarren und konnte seinen Vater regelrecht hinter der Türe fühlen. Nicht nur weil der schwere Atem des Zwerges zu hören war.
Es dauerte eine Weile und Terbu ging seufzend davon. Bereth vernahm die Haustüre und setzte sich erleichtert auf, um die schmutzigen Kleider abzustreifen. Hernach machte er sich daran, den gröbsten Dreck von der Haut zu waschen, um sich wieder in sein Bett zu legen. Doch war er derart aufgebracht, dass er trotz Müdigkeit nicht ans Einschlafen denken konnte und so grübelte er noch eine Weile vor sich hin.
Der Schlaf jedoch kam überraschend plötzlich, als wollte ihn jemand in die Welt der Träume hinüber zwingen.
Bereth fand sich in tiefer Nacht in seinem Zimmer wieder. Ein bläulicher Schimmer erhellte den Raum, der aber nicht durch das kleine Fenster hineinfiel, sondern im ganzen Zimmer schwach flackerte, als würde er an den Wänden und Möbeln haften. Dabei wirkte alles so verschwommen, als wäre er während seines Schlafes kurzsichtig geworden. Selbst die massive dunkle Wandvertäfelung wirkte wie brauner Dunst, welcher nur das Gepräge der Wände trug und sich in Luft verflüchtigte, sobald man daran rührte.
Er griff unvermittelt in seine nächste Umgebung, als er feststellen musste, dass er gar keine Finger mehr besaß, es fehlten ihm sowohl Hände als auch Arme und überdies fiel ihm auf, dass er nicht im Bett lag, sondern vielmehr im Raum zu schweben schien. Sein ganzer Körper war verschwunden. Es war ihm, als wäre er ein einziges schwebendes Auge.
Er bewegte sich in Richtung des Fensters, durch welches man die dunkle Nacht erkennen konnte. Er wurde regelrecht gezogen, als wollte ihn jemand aus dem Zimmer saugen. Bevor er sich zu wehren wusste, glitt er bereits durch das geschlossene Fenster in die Nacht. Er schwebte weiter bis über das Dach seiner Behausung und nahm immer weiter an Höhe zu. Bald wurden der Wald und das kleine Bergdorf sichtbar, während er immer weiter gen Himmel stieg, bis das Dorf und seine Hütte zu einem Punkt auf dem Gebirge zusammenschmolzen. Alles wirkte aus dieser Höhe flach, selbst der Ozean, der langsam in sein Gesichtsfeld rückte, schien auf gleicher Höhe mit den weitläufigen Gebirgsketten zu sein und schon konnte er den ganzen Kontinent mitsamt seiner blauen Grenzen überblicken, bis er schließlich über einer blaugrünen Kugel schwebte, die allmählich von einer intensiven Dunkelheit verschlungen wurde.
Bereth hatte seinen Körper wieder. Das war das Erste, was er bemerkte. Wahrscheinlich war er der einzige feste Gegenstand in dieser schwarzen Unendlichkeit, wo selbst die schimmernden Sterne aufgehört hatten zu leuchten, als hätte jemand die kleinen Flammen einfach ausgepustet. Doch er kannte diesen farb- und formlosen Ort nur zu gut, denn er hatte ihn in den letzten Nächten des Öfteren ungewollt bereist, wie er ihm auch dieses Mal wehrlos entgegentreten musste.
Er hatte kaum Zeit sich mit der Situation anzufreunden, als es wieder begann und er sich hilflos einem Luftzug, der weder Wärme noch Kälte brachte, stellen musste, der ihn langsam einhüllte und immer stärker wurde, bis er ihn vom Boden, ja, durch den schwarzen Boden, der eigentlich keiner sein konnte, riss und er sich im freien Fall befand. Ohne zu wissen, wo oben und unten war, fiel er in die Dunkelheit, nur umgeben vom Wind, der seinen Leib mit sich riss und an seiner Haut zerrte. Er schrie, denn er hatte Angst davor, was passieren würde, wenn doch noch fester Grund auf ihn zu käme oder noch schlimmer, wenn er ewig so fallen würde. Doch derselbe Wind, in dem er gefangen war, nahm ihm seine Stimme und trug sie weit davon, wo sie niemand hören konnte. Dafür sprach irgendjemand zu ihm, er konnte es nun deutlich hören oder war es doch nur das Brausen des Windes, das Worte in sein Ohr säuselte?
»Wir haben dich erwählt!«
Wer bist du?, fragte er, es drangen jedoch keine Worte über seine Lippen und seine Frage blieb unbeantwortet, als er sich unvermittelt mit den Füßen wieder auf dem schwarzen Boden befand, der mit der restlichen dunklen Unendlichkeit des Ortes verschmolz.
Auf einmal wurde es wärmer und Bereth schwitzte, dabei trug er nur sein Nachthemd. Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte und die Hitze regelrecht nach ihm gierte und seine Haare versengte, roch es nach Verbranntem. Er öffnete die Augen, welche er zum Schutze vor der gewaltigen Wärme, die ihn umarmte, geschlossen hatte, und musste feststellen, dass er selbst in Flammen stand. Das flackernde Feuer züngelte an seinem Leib empor und er wollte schreien, doch Rauch trat in seine Lunge und stattdessen hustete er tonlos. Er wollte rennen, doch seine Beine waren von dem beißenden Feuer wie gefangen. Er sah sich schon am lebendigen Leibe verbrannt, als eine tiefe, raue Stimme zu ihm drang, oder war es doch nur das Zischen der Flammen, das zu ihm sprach und Worte in sein Ohr wisperte?
»Du bist der Einzige, der unsere Macht erlangen kann!«
Wer seid ihr? Warum tut ihr mir dies an?, winselte er, doch der Rauch erstickte erneut seine Worte und die Fragen blieben abermals unbeantwortet, als die Flammen erloschen und er wieder in der unendlichen Schwärze stand, dessen Kühle seinen Körper beruhigte. Er war unversehrt und um eine unnötige Erfahrung reicher.
Er dachte gerade, wie wohlig die Kälte nach diesem Schock doch war, als er nur wenige Augenblicke später gewaltig zu frieren begann. Seine Zähne klapperten und er warf sich seine Arme um seinen Körper und rieb ihn, damit er wenigstens etwas Wärme verspürte. Hinter ihm knallte etwas auf den Boden gefolgt von einem Klirren, als wäre Glas zersprungen, doch als er sich umdrehte, lagen überall kleine Eiskristalle. Bald war er von ihnen umgeben und ihr bläulicher Glanz machte die schwarze Unendlichkeit lebendig. Dann zerfielen die bereits kleinen Eisstücke in Staub, der aufgewirbelt wurde und Bereth in einer eisigen Umarmung, wie Efeu einen Baum umschlang, einschloss und seine Glieder einfror und ihn starr machte. Er wollte schreien, doch der glänzende Staub drang in seinen Mund und blockierte seine Stimme, bevor sie aus den Lippen treten konnte.
In dieser Starre blieb er wie eine in Eis gehauene Skulptur stehen, während der Eisstaub wie ein in alle Richtungen wehender Schneesturm ihn umfegte. Er hörte abermals eine Stimme, die zu ihm zu sprechen schien, oder war es nicht vielmehr das Eis, welches in seinen Ohren knackte?
»Du musst die Gebiete außerhalb deiner kleinen Welt betreten!«
Was muss ich? Wer seid ihr? Die Fragen drohten seinen Kopf zu sprengen, aber keine Worte und keine Antwort, er blieb die starre Eisskulptur.
Das Eis fing an zu schmelzen, sich zu verflüssigen und als er seine Glieder wieder bewegen konnte, hatte das Wasser sich bereits überall hin ausgedehnt und er tauchte in einem unendlichen Ozean. Bereth bekam keine Luft und er wollte an die Oberfläche schwimmen, doch er konnte nicht sagen, in welcher Richtung sie lag. Er sah nur Wasser. Er wollte schreien, doch aus seinem Munde trat nur eine riesige, tonlose Luftblase, die ebenso schnell, wie sie gekommen war, sich wieder auflöste. Er meinte, er müsste ersticken, als eine weitere Stimme zu ihm drang, oder war es das Rauschen des Wassers, welches in ihm widerhallte?
»Löse unsere Prüfungen!«
Was für Prüfungen? Lasst mich endlich hier raus, ich ersticke! Bei diesen Worten schluckte er das salzige Wasser, welches ihn fast zum Erbrechen gebracht hätte, als er sich krümmte und sich urplötzlich in der trockenen, schwarzen Unendlichkeit am Boden kauernd wiederfand. Er hustete, keuchte abartig, sog die Luft in Unmengen ein, so nah war er am Erstickungstod gewesen und so glücklich über die Rückkehr in atmungsfähige Bereiche, dass er die nächste Überraschung nicht kommen sah. Der Boden unter ihm, der kaum von der endlosen Schwärze, die ihn umhüllte, zu unterscheiden war, nahm dunkel Formen an und bekam Risse. Ein Riss wurde zu einem Spalt, dehnte sich weiter und war ein Abgrund geworden, der Bereth augenblicklich verschluckte wie ein hungriges Tier. Alles schloss sich wieder um ihn herum und er konnte sich in dem Gefängnis aus Erde, in welches er geraten war, nicht rühren, egal wie sehr er sich reckte und bewegte, selbst sein Mund konnte er nicht zu einem Schrei öffnen, so dicht war die braune Masse an ihn herangerückt. Da hörte er ein gewaltiges Knirschen der Erde, das ihm eine Botschaft übersandte.
»Bezwinge unsere Drachen!«
Verflucht sollt ihr sein!, doch sein Mund blieb blockiert und niemand konnte seine Verwünschungen vernehmen, als die Erde zerkrümmelte und sandgleich zerrann und er sich wieder im schwarzen Raum befand.
Bereth hatte genug, er wollte hier raus und fing an zu rennen. Egal wie weit er springen musste, irgendwo musste diese schwarze Unendlichkeit ein Ende haben oder zumindest einen Ort, wo diese schrecklichen Empfindungen ihn nicht erreichen konnten. Er rannte und rannte, nicht wissend wohin, bis eine graue Wolke über ihn hereinbrach und Regen auf ihn niederprasselte. Es war ihm egal, denn er hatte keine Angst vor Regen und rannte weiter. Ein Donnerschlag erschallte und danach schlug ein Blitz direkt vor seinen Füßen ein. Erschrocken fiel er zu Boden und er sah, wie die Stelle rauchte. Weitere Blitze glitten aus der gewaltigen, trüben Wolke, die über ihm zu hängen schien, und schlugen unmittelbar in seiner Nähe ein, umkreisten ihn und hinderten ihn bei jeglichen Fluchtversuchen, während das Donnergrollen wie ein Orchester des Schreckens trommelte und ihn zu einem Mantra tanzen lies.
»Erlange unsere Kräfte!«
Lasst mich in Frieden!, brüllte er aus Leibeskräften. Doch das Donnern übertönte jegliche Laute. Bereth gab ermattet auf, setzte sich einfach hin und die Wolken verließen ihn, als eine Dunkelheit einbrach, die nichts mit der Schwärze des unendlichen Raumes zu tun hatte, denn diese war einfach leer, während die neue Finsternis viel intensiver war, als würde sich ein Schatten über ihn legen, der jegliches Licht in sich aufsog und eine Stimme sprach aus dem Nichts der Düsternis:
»Mach dich auf den Weg zum Pfad der Elemente!«
Er antwortete nicht, es hatte keinen Sinn und die Dunkelheit gab einem grellen Licht den Vorrang, welches ihn blendete und er musste sich die Augen vor ihr schließen und warf den Arm vors Gesicht, um noch mehr Schutz vor dem leuchtenden Weiß, in welches sich die Unendlichkeit verwandelt hatte, zu erlangen. Und wie ein weißes Negativ brannte sich ein Schriftzug auf seine Netzhaut.
»Dein Ziel ist der Erdberg!«
Was und wo soll das Bitteschön sein?, fragte er verächtlich in das Leuchten hinein. Das Licht aber verschwand und die Unendlichkeit kam zurück. Er stand auf und klopfte sich Staub von der Kleidung, der gar nicht existierte, und ging davon. Er hatte genug gesehen und wollte es den Drahtziehern hinter dieser Schreckenswelt zeigen, auch wenn er nicht reden konnte. Doch dann packte ihn etwas am Bein und er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Der Gestank von verfaultem Fleisch trat in seine Nase und als er hinabblickte, sah er, wie sich eine Gestalt aus dem Boden grub, deren verweste Hand Bereths Bein fest im Griff hatte. Umrisse eines Gesichtes traten aus dem schwarzen Boden, welches nur noch aus fauligem Fleisch und verwesenden Hautfetzen bestand. Zwei augenlose Einbuchtungen starten ihn an und er wollte angewidert dem eisernen Griff entrinnen, als er bemerkte, wie er selber langsam zu verfaulen begann. Zuerst verrottete sein Bein, welchen das Wesen berührte, bis fast auf die Knochen, dann passierte mit seinem ganzen Körper dasselbe. Er wollte Schreien, doch seit wann konnten totes Fleisch und verwesende Knochen schreien? Der verfaulte Kopf, welcher immer noch zur Hälfte im Boden vergraben war, blickte ihn weiter ausdruckslos an und dessen stummen Worte waren augenblicklich wie in sein Gehirn verpflanzt.
»Alle weiteren Schreine werden sich fortlaufend offenbaren.«
Verschwinde! Was wollt ihr von mir? Und obwohl er keine Stimme besaß, lachte ihm das grausige Wesen zu und klapperte dabei mit den wenigen Zähnen, die ihm noch geblieben waren, um sodann im Boden zu verschwinden. Bereth war am Boden zerstört und er hätte am liebsten losgeweint, doch er war immer noch totes Fleisch. Er verfluchte diese unendliche Leere, doch sie hörte ihn nicht. Er wollte sich vorwärts bewegen, doch sein verfaulter Körper gehorchte ihm nicht, bis grüner Staub vom Himmel fiel oder was er dafür hielt.
Der grüne Dunst umhüllte ihn und gab ihm neue Kraft, während sich sein Körper regenerierte. Er fühlte sich einfach gut, obwohl gut deutlich untertrieben war, denn er hätte Bäume ausreißen können und Berge verschieben. Jetzt wurde alles besser, nun fing es an ihm zu gefallen. Diese überwältigenden Kräfte in seinem Körper waren unglaublich. Er wünschte sich alle vorherigen Wesen zurück, ob Feuer oder Eis, Wasser oder Erde, Licht oder Dunkelheit, Wind, Blitze und Donner, selbst diese verfluchte, tote Gestalt, er würde alle miteinander in den Boden stampfen. So sehr war er von seinen neu erlangten Kräften überzeugt, dass er schrie: »Kommt schon, ihr namenlosen Monster! Ich werde euch allesamt in Stücke zerreißen!«, und seine Stimme hallte gegen alle Erwartungen im Raum wider. Wenn etwas seine Hochstimmung noch verbessern konnte, dann nur diese Tatsache. Er hatte nun vor Nichts und Niemandem mehr Angst. Und eine liebevolle Frauenstimme sprach mütterlich:
»Wach auf!«
Bereth sprang aus seinem Bett, schweißtriefend und der Körper ganz verspannt. Durch das Fenster drang immer noch die tiefschwarze Nacht. Er fühlte sich ausgelaugt, aber er musste seine müden Knochen aus dem Bett schwingen und er musste sich vergewissern. Er tastete sich entlang einer der Wände in seinem Zimmer und als das massive Holz seiner Hand standhielt, sagte er laut zu sich und mit zittriger Stimme: »Ein Traum. Nur ein Traum. Nichts weiter, was einen beunruhigen sollte.« Er lachte nervös und glaubte, er würde bald durchdrehen. Er musste mit seinem Vater reden, über die Geschehnisse im Traum. Diese Mal sah er alles noch vor sich, genau wie er es durchlebt hatte. Das Ganze musste einfach eine Bedeutung haben, auch wenn er zum Klardenken gerade nicht fähig war.
»Prüfung, Drachen«, wiederholte er Erinnerungsfetzen aus dem Traum. »Erdberg, Schreine – wo und was soll dies alles sein?«
Er ging aus dem Zimmer, musste unbedingt mit Terbu reden und öffnete dessen Schlafzimmertüre. Ein Schnarchen kam aus dem hinteren Teil des großen Raumes und er schloss sie wieder verlegen. Es war noch immer Nacht und er konnte seinen Vater nicht wecken. Es war besser abzuwarten, bis wenigstens einer von ihnen dazu fähig war, klar zu denken. Und wenn er den Zwerg jetzt aus seinem Rauschschlaf holte, dann war dies sicherlich nicht der Fall.
Zurück in seinem Zimmer blickte er auf sein Bett, als würde es lebendig werden, ihn angreifen und verschlingen und ihn zurück in diesen Traum befördern. Obwohl er noch müde war, schlafen konnte er heute sicherlich nicht mehr.
1. Kapitel: Mehr als nur Träume
Erschrocken von einem seltsamen Traum, schwang Bereth die Beine aus dem Bett und stützte den wirren Kopf haltsuchend auf seine Hände. Schwerfällig keuchend, als wäre er in den letzten Stunden ununterbrochen gerannt, saß er – am ganzen Leib zitternd – auf der Bettkante, seine schwarze Haut war blass und von Schweißtropfen überdeckt, die Augen sonst blutrot schimmernd lagen matt und farblos in den weit aufgerissenen Lidern. Sein Kopf fühlte sich schwer und verspannt an, als hätte ihn jemand während des Schlafes bis zum Rand mit Sorgen gefüllt. Er fasste sich mit seinen dunklen Händen, deren überaus schmale Finger an scharfe und gefährliche Krallen erinnerten, tastend an seine Schläfe, wobei er am liebsten seine Augen geschlossen hätte, doch die verweigerten selbst das Blinzeln. Seine Stirn glühte und fühlte sich fiebrig an, aber Bereth war sich sicher, dass er sich keine Krankheit zugezogen hatte. Es war nur wieder einer dieser Träume, die seit Tagen in jeder Nacht über ihn kamen und an seinen Kräften nagten, als wäre er ein lumpiger Hundeknochen zwischen den Kiefern eines Drachens.
Er saß eine Weile in diesem aufgewühlten Zustand in seinem Bett. Er konnte sich kaum rühren und seine Gedanken sprangen von einem Erinnerungsfetzen zum nächsten, bis seine Augenlider mehrere Male nacheinander auf und zu gingen und ihm einige kleine Tränen über das Gesicht rannen. Seine Pupillen bekamen allmählich ihre Farbe zurück, auch wenn das sonst so lebhafte Schimmern und Funkeln weiterhin von einem nervösen Zucken überdeckt wurde. Bereths Atmung hatte sich beruhigt und auch die Hautfarbe wurde wieder kräftiger.
Er erhob sich vom Bettrand und wusch sich am Waschtisch den Schweiß von der Stirn, während er seinen weit nach vorne ausgebildeten Kiefer zu einem lang gezogenen Gähnen aufklappte und seine spitzen Eckzähne zum Vorschein kamen. Er reckte stöhnend seinen zwei Meter hohen, vom Schlaf verspannten Körper, wobei sich selbst seine Stummelflügel ausbreiteten. Sie waren die sichtbarsten Überreste aus seines Urgroßvaters Linie, aber kaum zum Fliegen geeignet, da Bereth weder die Muskulatur besaß, um sich selbst in die Lüfte zu erheben, noch die Spannweite der Flügel ausreichend war, um mit seinem schweren Körper über dem Boden zu gleiten. Sie waren nicht mehr als störende Extremitäten.
Er verließ sein Zimmer, um in die Küche zu gelangen. Dort füllte er sich einen tönernen Becher mit Wasser, welches aus dem nahegelegenen Brunnen stammte, und trank in einem kräftigen Zug das Gefäß leer. Bereth merkte, wie die Frische und Kühle des Wassers in ihm neue Kräfte weckte. Aber der Effekt war nur von kurzer Dauer und er musste sich noch einmal nachschenken.
Nachdem sein Durst endlich gestillt worden war, ließ er sich auf einem Stuhl nieder, der unheilvoll knarrte. Bereth war immer noch nicht ganz über den Traum hinweggekommen und versuchte diesen sowie die weiteren der letzten Nächte zu rekonstruieren, um besser verstehen zu können, warum sie ihn auf diese seltsame Weise beschäftigten und plagten. Aber jedes Mal, wenn er sich zurückzuerinnern versuchte, fand er seine Gedanken und sich selbst in einer farb- und gestaltlosen Unendlichkeit wieder, welche außer seinem eigenen Körper nichts beinhaltete.
Bereth schaukelte nachdenklich auf dem ächzenden Stuhl vor und zurück, dessen Beine leicht durchgebogen waren und unter seiner Last nachzugeben drohten. Dann warf er erneut den Kopf in die Hände. Die Schmerzen waren plötzlich zurückgekehrt. Er benötigte dringend eine Beschäftigung, sonst würde sein Zustand kaum besser werden. Sein Vater hätte ihm sicherlich ein Mittel gegen die Kopfschmerzen verabreichen können oder zumindest eine kurzweilige Ablenkung für ihn gefunden. Nur war dieser wieder einmal bis spät in der Nacht weg gewesen und würde erst am Nachmittag schlechtgelaunt aufwachen.
Da Bereths Mund bereits wieder trocken war, wollte er seinen Becher mit den letzten Tropfen Wasser aus dem Krug auffüllen. Dabei erinnerte er sich sogleich an eine Tätigkeit, welche ihn über längere Zeit beschäftigen könnte, zumindest bis sein Vater aufstehen würde. Der hatte ihn schon seit Wochen gebeten, das Holz für den Winter zu hacken, da der Sommer vorbei war und die Herbsttage sich regnerisch und kalt zeigten. Bereth hatte diese Arbeit immer wieder aufgeschoben, da es in seinen Augen noch lange dauerte, bis die wirklich kalten Tage einsetzen würden und noch genügend Holz für den Küchenherd vorrätig war. Ihm erschien diese Arbeit in diesem Moment allerdings bestens geeignet, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.
Als Bereth aus dem Fenster sah und die dicke, graue Wolkendecke am Himmel erblickte, verspannte sich sein ganzer Körper von Neuem und er war sehr geneigt sich eine Arbeit im Trockenen zu suchen, doch mit einem Seufzer warf er sich seinen schwarzen Mantel um, der den ganzen Körper mitsamt Flügel umhüllte, und ging hinaus ins Grau des Tages. Die frische Luft tat seinem leicht fiebrigen Körper sofort gut und er atmete sie dankbar in tiefen Zügen ein.
Von seiner Haustüre aus konnte man die schäbigen Häuser des nahegelegenen Bergdorfes erkennen, welche sich mit der großen Hütte, in der Bereth und sein Vater wohnten, kaum messen konnten. Auf einem abgelegenen Hügel jenseits des Dorfes lag ein altes Bauernhaus, das unlängst zu einem protzigen Herrenhaus umgebaut worden war, wo es an einen dichten und ausgedehnten Wald angrenzte. Das Dorf konnte man zwar in wenigen Minuten erreichen, aber der Abstand war ausreichend, um den Sonderling Bereth und die Dorfbewohner, welche hauptsächlich dem Menschen- und dem Zwergenvolk angehörten, auf sichere Distanz zu bringen.
Mit einem sehnsüchtigen Blick zurück zur Haustüre und dem warmen Inneren lief er um die Hütte zu einem kleinen Werkzeugschuppen, der nach seinem Empfinden eher Abstellkammer für nutzlose Gegenstände hätte genannt werden müssen. In ihm lagen nebst der zentimeterdicken Staubschicht allerhand rostige Werkzeuge, welche ab und zu einmal gebraucht wurden, aber keinen wirklichen Nutzen hatten. So die Gießkanne und auch die Handschaufel, welche im weitestgehend pflanzenlosen Garten jegliche Aufgabe verloren hatten. Daneben lag ein stielloser Hammer und einige verbogene, rostbraune Nägel fanden sich ebenfalls, die beim näheren Betrachten regelrecht zu Staub zerfielen. Außerdem gab es abgewetzte Feilen in allen erdenklichen Varianten und Größen, ein Schenkel einer Zange sowie eine vollkommen verbogene Heckenschere, die selbst Bereth mit seinen kräftigen Armen nicht mehr bewegen konnte. Es musste irgendwo unter all dem Gerümpel ein Holzbeil liegen. Immerhin ein Objekt im ganzen Schuppen, welches halbjährlich zum Einsatz kam, wenngleich auch das Beil es jedes Mal aufs Neue schaffte, zu unterst im Unrat zu verschwinden.
Bereth legte eine Heugabel zur Seite, die davon zeugte, dass die meisten Werkzeuge hier noch vom Vorbesitzer des Hauses stammten, räumte einen Laubrechen vom Boden auf, wobei er sich fragte, wann er oder sein Vater wohl das letzte Mal Laub zusammengetragen hatten und schließlich warf er noch seufzend einen zerzausten Besen aus dem Schuppen, der im Haus besser zu gebrauchen war als hier. Nur von dem gesuchten Beil fehlte jegliche Spur, obwohl sich Bereth sicher war, dass es hier irgendwo liegen musste.
Er wollte bereits sein Vorhaben abbrechen, als er das Gesuchte unter einer zahnlosen und daher unbrauchbaren Handsäge fand. Vorwurfsvoll starrte er auf das verstaubte Ding. Bereth nahm das Beil hoch und warf es kunstvoll in die Luft, damit es sich einmal um seine eigene Achse drehen und er es mit seinen gelenken Fingern fangen konnte. Mit kräftigem Griff schwang er das Werkzeug hin und her, als wollte er jemandem den Kopf spalten. Verblüfft über seinen eigenen Reflex, grübelte er kurz, warum er wohl das Beil gerade wie eine Waffe geschwungen haben mochte. Bereth schüttelte aber nur leicht den Kopf angesichts des Übermutes, verließ den Schuppen und wollte an nichts mehr denken und sich voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren.
Hinter dem Haus stand ein großer Baumstumpf, der bereits durch unzählige Axthiebe verunstaltet worden war und an der Hauswand entlang lagen sorgfältig aufgestapelt die zurechtgesägten Holzstämme. Bereth stellt das erste von vielen Stücken Holz auf den Baumstumpf, während es nun zu allem Überfluss zu nieseln begann. Er hätte wohl doch lieber in seinem Bett bleiben sollen, besonders weil er sich nicht kräftig genug für diese Arbeit fühlte. Aber dort im warmen, trockenen Zimmer warteten nur die hohlen Erinnerungen an die kraftzehrenden Träume auf ihn. Die bitteren Gedanken verdrängend holte er mit dem Beil weit aus und schlug auf das Holz ein. Es schien, als hätte er doch noch mehr Kraft in sich als vermutet. Das Beil glitt mühelos durch den Klotz, welcher sogleich brav in zwei Stücke zerfiel.
Er teilte die beiden Hälften abermals und ging schließlich über zum nächsten Stamm. Mit jedem neuen Stück, das er trennte, stieg die wohlige körperliche Wärme in ihm auf, bis Schweiß über seine Haut perlte und er – als bereits ein kleiner Haufen Brennholz sich neben ihm auftürmte – seine Muskeln zu spüren begann. Die Arbeit wollte ihm immer mehr gefallen und sein Blut geriet in Wallungen. Er versuchte immer schwungvoller und extravaganter die Holzscheite zu spalten. So wurden auch seine Bewegungen immer spielerischer und obwohl er die Holzstücke nunmehr in Kleinholz denn in denn brauchbare Scheite zerklüftete, war er nicht zu bremsen. Dann geschah das Unvermeidliche. Voller Zorn blickte er auf den abgebrochenen Schaft des Beiles in seiner Hand. Der Keil mitsamt dem Holzstummel des Stiels steckte in einem großen Klotz fest.
Er verlor vollends die Kontrolle und sein Blut fing regelrecht an zu kochen. Er warf den nun wertlosen Stiel mit einem gellenden Wutschrei zu Boden und stampfte ihn in einem Zornestanz in den Dreck. Dann fegte er mit seiner Faust den noch ganzen Holzklotz vom Baumstumpf. Den Schmerz in der Hand ignorierend trat er schließlich gegen die Hauswand, bis der Holzstapel zu Boden ging. Unterdessen waren seine Schreie so laut geworden, dass man ihn wahrscheinlich noch im Tal unten hören konnte.
Von diesem Spektakel geweckt, torkelte ein Zwerg mit rostbraunem Haar und einem ebensolchen Vollbart schwerfällig an der Hauswand entlang, bis zu der Stelle, wo sich Bereth austobte. Bei dessen Geschrei fasste er sich an den Kopf, dorthin wo einst seine rechte Augenbraue gewesen sein musste. Mit der verbliebenen linken Augenbraue, dem von langen, alkoholdurchtränkten Nächten roten und faltigen Gesicht sowie dem für Zwerge so typischen, grimmigen Blick, wirkte das kleinwüchsige Wesen wie das Bildnis eines mürrischen Greises, obwohl er doch ein für sein Volk noch junges Alter besaß.
»Bereth, was ist geschehen? Warum veranstaltest du hier ein solches Theater?«, rief er seinem Sohn mit kräftiger Stimme zu. Dieser hatte das Ankommen seines Vaters nicht bemerkt, aber in dem Moment, als er die Stimme des Zwerges vernahm, verstummte er.
Die zwei Meter hohe, schwarzhäutige und rotäugige Bestie Bereth hatte wahrlich äußerlich nichts mit seinem Vater, einem, wenn man großzügig seinen buschigen Haarschopf hinzurechnete, ein Meter zwanzig hohen Zwerg namens Terbu, gemein. Sein Aussehen kam deutlich von seiner Mutter her, die bei der Geburt des kräftigen Jungen ihr Leben verloren hatte.
Terbu musterte nun besorgt seinen Sohn, der mit jeder Sekunde immer elender dreinblickte, bis nur noch eine verbitterte und kraftlose Gestalt vor ihm stand. Seit mehreren Tagen hatte er bereits das Gefühl, das etwas mit Bereth nicht stimmen konnte. Irgendwie hatte er wohl erhofft, es würde sich alles wieder von selbst einrenken, doch nach dem heutigen Ereignis befürchtete er, dass es nicht so einfach werden würde. Vor ihm stand nicht mehr der Junge, welcher von den anderen Kindern des Dorfes als Monster beschimpft und mit Steinen beworfen worden war und trotz allem noch trotzig grinste, wenn er ihm das brennende Desinfektionsmittel über die Wunden geschüttet hatte. Und er war auch nicht mehr das abenteuerlustige Kind, welches auf eigene Faust den Wald durchforstete und erst spät am Abend mit blutigen Knien und einem trotzigen Lächeln zurückkam. Vor ihm stand ein junger Mann, der trotz seiner abschreckenden Erscheinung Bedürfnisse nach sozialen Bindungen besaß, auch wenn er von den anderen Leuten nicht akzeptiert wurde. Und dies war Terbus größte Sorge: Mit seinen nächtlichen Besuchen in der Taverne fühlte er sich mitverantwortlich für die Einsamkeit dieses Sonderlings.
Der Zwerg wusste nicht so recht, wie er seinen Sohn aufmuntern sollte. So wollte er ihn in ein Gespräch verwickeln, damit von seinen Sorgen berichten möge.
»Was ist geschehen?«, fragte Terbu erneut, da er keine Antwort erhalten hatte, und achtete auf jede von Bereths Reaktionen. Aus irgendeinem Grund sagte dieser aber nur: »Das Beil ist gebrochen«, und zeigte auf den Keil, der immer noch im halb gespaltenen Holzscheite steckte und auf der Erde lag.
»Und dies ist der Anlass für den Radau, den du hier veranstaltest?«, spöttelte der Zwerg. »Dann besorgen wir eben einen neuen Stiel. Dies ist doch noch lange kein Grund, das ganze Haus auseinanderzunehmen.«
Bereths Augen waren auf den Boden geheftet und mieden des Vaters Blicke. Er wusste nur zu gut, wie kindisch sein Wutausbruch gewesen war, und schämte sich, Terbu auf diese Art geweckt zu haben. Der hingegen blickte sorgenvoll hinüber zu seinem Sohn. Er besaß so viele Gemeinsamkeiten mit seiner verstorbenen Mutter, weit über das Äußere hinausgehend. Auch sie war bereits ein besonderes Wesen gewesen, die das Blut verschiedener Völker in sich getragen hatte.
Alles hatte begonnen mit einer verbotenen Liebe zwischen einer Elfenfrau und einem Dämon. Elfen und Dämonen gehörten zu den ältesten Völkern, ihre Geschichte ging weit über die der Menschen und auch die der Zwerge hinaus. Die grundlegenden Unterschiede der beiden Völker hatten zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen geführt und schließlich in einem langjährigen Krieg geendet. Auch wenn dieser Krieg bereits Jahrhunderte her war, so blieb der Zwist zwischen den beiden Völkern bis zur heutigen Zeit erhalten. Eine Beziehung zwischen einer Elfin und einem Dämon war selbst dieser Tage undenkbar und doch war es damals dazu gekommen, wenn zuerst auch nur im Verborgenen.
Terbu fragte sich, ob die Vorfahren von Bereth eine solche Beziehung eingegangen wären, hätten sie von dem Leid gewusst, welches sie ihren Nachfahren dadurch zugeführt hatten. Andererseits wusste er am besten, dass die Liebe ganz eigene Wege ging. Sein Leben war gezeichnet von den überraschenden Irrungen und Wirrungen der Liebe.
Als in Vorzeiten die Elfin schließlich Schwanger geworden war, hatten sie ihre Liebe nicht mehr geheim halten können. Der Dämon wurde für seine Tat von seinem Volk hingerichtet. Die Elfin wurde mitsamt Kind aus ihrer Heimat verbannt. Eine erbarmungslose Entscheidung ihres Volkes, da die Dämonen ein solches Kind nicht hatten akzeptieren wollen und die Beiden aufs bitterste von den Beflügelten verfolgt wurden. Die Elfin hatte eine schwere Entscheidung treffen müssen. Sie hatte in ihrer Not das Kind einem menschlichen Jäger in einem abgelegenen Wald anvertrauen müssen, während sie die Dämonen auf eine falsche Fährte zu locken versucht hatte. Von ihr hörte man nie wieder etwas und der Jäger und seine Familie mussten für das Kind sorgen, bis es zu einer jungen Frau herangewachsen war und sich mit dem Sohn des Jägers vermählte. Auch sie gebar wiederum eine Tochter, bei der das dämonische Erbe nicht zu leugnen war. Es handelte sich um Bereths Mutter, die bereits mit jungen Jahren gegen den Willen ihrer Eltern die Abgeschiedenheit, in welcher die Jägersfamilie lebte, verlies, um die weite Welt zu sehen.
Doch fast alles was sie erleben musste, war Zurückweisung und Einsamkeit. Kaum Siedlungen, welche sie bereiste, wollten ein solch absonderliches Wesen lange dulden und sie wurde immer wieder verjagt, an welches Volk sie sich auch gewandt hatte. Dies dauerte an, bis sie den sonderlichen Zwerg auf ihrer Reise angetroffen hatte und sich mit diesem in einem abgelegenen Bergdorf niedergelassen hatte.
Terbu wusste nicht, wie sein Zwergenblut, das sich nun zum menschlichen, dämonischen und elfischen Blut gesellte, seinem Sohn wirklich helfen sollte. Drum hatte er schon viele Male darüber nachgedacht fortzugehen und in einer Großstadt wie Mengan zu leben, wo unterschiedliche Rassen und Kulturen aufeinandertrafen und Bereth sich unter den Menschen, die an seltsame Wesen gewohnt waren, wahrscheinlich wohler fühlen würde, als an solch einem abgelegenen Ort, wo alles Anormale verhöhnt und gemieden wurde. Nur hatte er sich nie von der Hütte trennen können, in welcher er und seine Frau ihre wenigen gemeinsamen Jahre glücklich verbracht hatten. Aber es war wohl an der Zeit, noch einmal ernsthaft über einen Umzug nachzudenken.
Angesichts des nun kräftigen Regens griff Terbu seinen Sohn am Arm und führte ihn zur Haustüre.
»Lass uns etwas warmes Trinken und dann erzähle mir, was dich wirklich bedrückt«, sagte der Zwerg noch, doch Bereth hörte ihm schon nicht mehr zu, seine Gedanken waren in die Ferne abgeschweift. Dennoch folgte er seinem Vater widerstandslos ins Trockene.
Dort gelang es Bereth endlich, sich wieder zu beruhigen, während er mit Terbu einen warmen Tee trank und ihm von seinen Träumen erzählte, die in den letzten Tagen ihn Nacht für Nacht übermannt hatten. Aber der alte Zwerg wusste kein Mittel dagegen und versuchte ihn mit der Aussicht zu beruhigen, dass die Alpträume sich mit der Zeit ganz gewiss legen würden. Er hatte mit anderen Problemen seines Sohns gerechnet. Träume, die mochten vergehen, so wie sie kamen, war des Zwergen feste Überzeugung, der solcherlei Spuk nicht viel Gewicht beimaß. Sie schlürften noch gemeinsam ihren Tee.
Als Terbu ihn alleine zurückließ, musste Bereth eine neue Beschäftigung finden. Er ging die Treppe hinunter, die in den Keller des Hauses führte, und fand sich am alten Arbeitsplatz seines Vaters wieder, der seit Jahren nur noch dazu diente, meist nutzlose wie zu Bruch gegangene Erfindungen, welche Terbu einst ersonnen und konstruiert hatte, aufzubewahren.
Früher, noch bevor er das Vermögen seines Onkels geerbt hatte, war der Zwerg weit umhergereist und hatte versucht seine seltsamen Erfindungen zu verscherbeln. Oder er hatte den Leuten seine geschickten Hände angeboten und ihre Sachen gegen Entlohnung oder etwas Warmes zu Essen repariert. Wenn Bereth jedoch das Gerümpel hier unten aufrichtig besah, wusste er, sein Vater musste hauptsächlich vom Mitgefühl seiner Kunden gelebt haben.
Sein Interesse galt jedoch nicht dem vielen Schrott. Er war vielmehr auf der Suche nach einem alten Spielzeug. Bereth fing folglich an, das Gerümpel zu beräumen und einige der vielen Gegenstände weckten lebhafte Erinnerungen. So der Spannkolben zum verschießen von Eisenkugeln, der statt eines wilden Tieres die Augenbraue seines Vaters zerfetzt hatte. Oder das von Terbu selbstgezimmerte Holzgestell mit zwei runden Scheiben, das zum Fortbewegen gedacht gewesen war, ihn aber aufgrund eines Achsbruches nur gegen den nächsten Baum befördert hatte. Nach langem Suchen fand er schließlich das Objekt der Begierde in einer zerdrückten Holzkiste, auf der ein unglaublich schwerer, riesiger Metallklotz lastete. Trotz der beginnenden Fäulnis der Kiste sah die selbst gefertigte Waffe noch gut erhalten aus. Das Holzschwert hatte die Abmaßen eines richtigen Breitschwertes, obwohl die Klinge dicker war und eher einem Prügel glich. Der Griff war mit einem abgewetzten Lederband umwickelt, welches den Träger vor dem rauen Holz schützen sollte.
Er konnte sich noch gut erinnern, wie ihm als kleiner Junge das alte Kurzschwert von Terbu zwischen die Krallen gekommen war. Der Zwerg hatte es zum Selbstschutz gekauft, als er noch alleine mit seinen Erfindungen die Welt bereist hatte. Den Umgang mit der Waffe hatte er bei einem alten Soldaten erlernen können, bei dem Terbu eine Weile als Gehilfe gedient hatte. Als er sich hier unweit des Bergdorfes niedergelassen hatte, geriet das Schwert irgendwo im Keller in Vergessenheit, bis der Zwerg seinen Sohn eines schönen Tages damit spielen sah. Bereth hatte seinen Vater noch nie so zornig erlebt und obwohl er sonst nie laut wurde, war sein Geschrei über den ganzen Berg gehallt, und Bereth hatte die Waffe nie mehr zu Gesicht bekommen.
Durch solche Rückschläge hatte er sich jedoch nicht entmutigen lassen. Er hatte Blut geleckt und wollte fortan mehr davon. Er durchsuchte den Wald nach einem passenden Ast, den er wie ein Schwert schwingen konnte. Doch der Stecken wurde bald eintönig. Wieder durchforstete er die Holzungen, bis er mit einem stämmigen Knüppel, der die richtige Länge und Breite besaß, zurückkam und anfing diesen zurechtzuschnitzen, bis sein Vater den Jungen bei seiner Arbeit erwischt hatte. Doch statt den erwarteten Beschimpfungen half er bei der Fertigstellung und kaufte ihm sogar ein Stück Leder. So war er zu seinem ganz persönlichen Breitschwert gekommen.
Als er die Holzwaffe aus der Kiste entnahm, schmiegte sich der Griff wunderbar in seine Hand und lag sofort wieder fest zwischen seinen Krallen. Sein Vater hatte ihm einige Bewegungen beigebracht und jene, an die er sich noch gut erinnern konnte, probierte er sogleich aus. Befriedigt steckte er schließlich das Schwert in seinen Hosengurt, als hätte er dort eine Scheide befestigt und begab sich nach oben.
Obwohl der Himmel weiterhin eintönig grau war und es fortgesetzt regnete, verzichtete er auf seinen Mantel, da er keinen überflüssigen Stoff gebrauchen konnte, der ihn in seinen Bewegungen behinderte. Stattdessen trug er einen speziell für ihn angefertigten Lederharnisch, den Terbu ihm besorgt hatte. Damals war der Zwerg, ohne ein Wort zu sagen, für ein paar Tage verreist gewesen, was Bereth eigentlich kaum gestört hätte, wenn er nicht auch an seinem Geburtstag abwesend gewesen wäre. Erst in der Nacht kam Terbu erschöpft, ausgehungert und bis auf seinen kleinwüchsigen und behaarten Körper durchnässt nach Hause und übergab seinem Sohn voller Stolz das Geschenk.
Da es in dem kleinen Dorf keinen Laden für Rüstungen und Schutzbekleidungen gab, hatte Terbu bis ins Tal wandern müssen, um in der Stadt Mengan nach dem Gewünschten zu suchen. Da die Spezialanfertigung jedoch seine Zeit benötigte, bis sie fertiggestellt war, verlor der Zwerg jegliches Zeitgefühl in der örtlichen Taverne und hatte schließlich den weiten und beschwerlichen Heimweg in einer Sturmnacht auf sich nehmen müssen, um den Geburtstag seines Sohnes nicht völlig zu verpassen.
Bewaffnet und gut gerüstet watete er nun durch den fußtiefen Matsch, den der Regen beschert hatte und der sein Schuhwerk forderte. Er erreichte die ersten dichten Stellen des Waldes jenseits des Ortes, den er weitaus besser kannte als das Bergdorf und dessen Ruhe er ungemein schätzte. Ungeachtet der nassen Füße ging er weiter, bis er einen in dem dichten Unterholz kaum erkennbaren Pfad erreichte, den er einst selbst in den Waldboden gestampft hatte, weil weder die Tiere noch die Menschen den Ort, zu dem Bereth wollte, nutzten, da es eine tote Stelle in dem weitläufigen Bergwald zu sein schien. Gemieden von den Waldbewohnern war es der rechte Ort für Bereth.
Er kämpfte sich noch fast eine halbe Stunde durch das Unterholz, bis er die gewünschte Stelle erreicht hatte, die durch eine wallartige Anhöhung verdeckt lag. Dahinter lagen Dutzende tote und umgefallene Bäume kreuz und quer, deren leb- und blattlose Äste sich wie ungeordnete und knochige Arme in alle Himmelsrichtungen ausstreckten. Hier an diesem düsteren Ort lebten wahrscheinlich nicht einmal mehr Insekten unter der morschen Rinde. Es war als hätte er eine Türe in eine andere Welt aufgestoßen. Bereth fühlte sich an diesem trostlosen Ort, der vor fremden Blicken sicher war und den nicht einmal der kalte Wind zu küssen schien, wohl und geborgen.
Der Boden hier war hart und nur leicht feucht. Zuerst begann er nur zaghaft mit seinem Holzschwert auf einen der vielen morschen Äste einzuschlagen und probierte einige Bewegungen aus, die ihm einst sein Vater gelehrt hatte. Spielerisch gab er dazu einige Kampfschreie von sich, bis der Ast immer härtere und variantenreichere Hiebe erdulden musste und Bereths Getöse immer furchterregender wurde und jegliches Lebewesen verjagt hätte, wenn an diesem trostlosen Ort auch nur eines existiert hätte.
Mit jedem weiteren Schlag spürte er die Anspannung in seinem Körper und den Schweiß, der seinen erhitzten Körper hinabrann. Wie beim Holzhacken fühlte er sich befreit von allen überflüssigen Gedanken, nur der Feind war von Belang und die Schläge wurden immer fester und sicherer. Er wechselte die Stellung und suchte sich hastig ein neues Ziel, auf welches er so lange eindrosch, bis sich die dunklen, blattlosen Bäume in seinen Gedanken in Soldaten verwandelten und ihre langen Äste sich als tödliche Lanzen und Schwerter entpuppten. Immer mehr von ihnen tauchten vor seinem inneren Auge auf, doch er ließ sich von dieser Überzahl nicht einschüchtern. Mit Händen und Füßen wehrte er sich, zerschlug die Waffen seiner unzähligen Feinde, wich tödlichen Hieben aus und nutzte jede Blöße gnadenlos aus.
Die späten Herbsttage brachten eine frühe Nacht und Bereth blickte in den dunkel werdenden Abendhimmel, während leichte und vereinzelte Regentropfen seine tiefschwarze Haut nässten. Er wollte heim und kämpfte sich durchs Unterholz. Als der Wald sich lichtete, beschleunigte er und schnellen Schrittes passierte er bereits die ersten Hütten des Ortes, erschöpft aber zufrieden, denn er hatte alle seine Feinde besiegen können. Ausnahmsweise, weil er spät dran war, nahm er die Abkürzung durch das Dorf und nicht den Umweg durch den Wald, den er sonst immer nutzte. Bereth bereute seine Entscheidung jedoch sogleich, als er auf der Straße fast eine unachtsame Frau angerempelt hätte. In dem sie ihre Hände vor den Mund hielt, verhinderte sie einen Entsetzensschrei. Dann ging sie hastig an ihm vorbei, ohne ihm in die Augen zu schauen oder sich zu entschuldigen. Es war nicht zu übersehen, dass sie so schnell von dem Sonderling weg wollte, wie es nur ging. Kaum einige Schritte weiterlief er an einigen tratschenden Frauen vorbei, die anscheinend gerade noch die letzten Besorgungen beim Markt gemacht hatten. Als sie ihn bemerkten, brachen sie ihr Gespräch ab und glotzten ihm nach, bis er an ihnen vorbeigezogen war. Klar und deutlich hörte er eine der Frauen sagen.
»Was macht der den hier?«
»Und in solchen Kleidern und derart verdreckt. Der führt nichts Gutes im Schilde!«, erwiderte eine andere.
Bereth wurde mit Dreck beworfen. Einige Kinder hasteten lachend davon. Er beeilte sich. Er wollte nach Hause, so schnell es ging. Die Dorfleute scherten sich nicht um ihn und er wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Es war jedes Mal das Gleiche, wenn er an diesen verfluchten Ort kam. Die Leute machten keinen Hehl daraus, dass er unerwünscht hier war. Doch wieder wurde er aufgehalten, wenn dieses Mal auch durch eine freundlich gesinnte Stimme. Der Wirt der einzigen Taverne des Dorfes, Dsenk stand vor dessen Türe und winkte ihn zu sich. Der runde Zwerg mit gekämmtem Vollbart und einer im Laternenlicht schimmernden Glatze war die einzige Person im Dorf, welche ab und zu ein Wort mit Bereth wechselte. Terbu war schließlich der wichtigste Kunde des Zwerges, da dieser fast jeden Abend in der Taverne auftauchte und Zwerge waren bekanntlich trinkfeste Gesellen.
»Bereth, gut, dass ich dich sehe. Dein Vater hat seinen Mantel heute Morgen liegen lassen.«
»Sie können ihm diesen heute Abend persönlich geben. Er wird bestimmt vorbeischauen.«
»Nein, nein. Wenn du schon hier bist, dann kannst du sie ihm auch nach Hause bringen. Bei dem Wetter will ich nicht das der Narr sich verkältet. Ein hustender und rotzender Zwerg trinkt nicht so viel wie ein gesunder. Warte kurz. Ich gehe ihn holen.«
Ungeduldig wartete Bereth vor der Taverne. Er spürte überall Blicke auf sich. Er sah in einer Gasse gegenüber unter einem Vordach eines Hauses vier Jugendliche stehen. Er kannte sie gut. Sie waren die einzigen im Dorf, die ungefähr im gleichen Alter wie Bereth waren. Es handelte sich um einen schlaksigen, großen Jungen mit dem Namen Mugra. Er war ein Großmaul und versuchte die zwei Mädchen mit seinen Räubergeschichten zu beeindrucken. Etwas im Schatten von Mugra stand sein Kleiner Freund Duma, den man wegen der Größe und dem runden Bauch gerne mit einem Zwerg verwechselte.
Als Kind hatte er sich mit den beiden Anfreunden wollen. Doch war er nie von ihnen akzeptiert worden. Wenn sie ihm einmal das Mitspielen erlaubt hatten, dann hatte dies meistens in einem üblen Streich auf Kosten des Sonderlings geendet. Weshalb er gelernt hatte, sich von den Beiden fernzuhalten.
Sie hatten Bereth bemerkt. Mugra starte hämisch zu ihm rüber und machte die anderen auf ihn aufmerksam. Die Mädchen verzogen angewidert die Nase, ignorierten ihn aber sogleich wieder. Nur der hagere Jugendliche starte ihn weiter an. Mit einem breiten Grinsen sagte er etwas zu seinen Begleiterinnen, die sofort zu lachen begannen. Duma lachte höfflich mit. Bereth musste den Witz nicht hören, um zu verstehen, dass dieser auf seine Kosten gegangen war. Er hasste diesen Ort.
»Hier ist der Mantel«, sagte Dsenk, der wieder nach draußen gekommen war und streckte ihm das Kleidungsstück hin. Bereth nahm es an sich.
»Ach, lungern diese Unholde schon wieder hier herum«, sagte der Zwerg, dem der zornige Blick von Bereth nicht entgangen war. »Kümmere dich nicht um die. Sieh zu, dass du nach Hause kommst.«
Bereth war sich nicht sicher, ob der Zwerg den letzten Satz als gutgemeinten Ratschlag oder eher als Aufforderung von sich gegeben hatte, weil er möglicherweise Kunden vertrieb, wenn er noch länger hier herum stand.
»Natürlich. Das werde ich. Danke, für den Mantel.«
Der Wirt verabschiedete sich und war bereits wieder in der Taverne verschwunden. Er konnte Stimmen im Innern vernehmen. Die Kundschaft war bei dem Wetter bereits zu früher Stunde zahlreich. Bereth drehte sich zur Straße um, als er von einem Mann angerempelt wurde. Er stürzte in den Schlamm und der Mantel fiel in eine Pfütze.
Verärgert stand er wieder auf und richtete sich zu dem ungehobelten Kerl auf. Vor ihm stand ein grobschlächtiger Mienenarbeiter, kräftig gebaut und kaum kleiner als der großgewachsene Bereth. Er sah ihn angriffslustig an. Die hiesige Goldmiene war der Entstehungsgrund des abgelegenen Bergdorfes gewesen und hatte viele Zwerge aber auch Menschen hierher gelockt. Auch Mugras Vater war so einst ins Dorf gekommen, um sein Glück zu versuchen. Doch das Gold versteckte sich immer tiefer im Gebirge und wurde immer weniger. Die Arbeit in den Mienen war hart und die Entlohnung der Arbeiter nur noch gering. Was dem Gemüt der Männer nicht gerade wohl tat. Der Alkoholkonsum half da nur selten.
Er wollte sich jedoch nicht in unnötige Scherereien verwickeln lassen, entschuldigte sich voreilig und nahm stillschweigend den Mantel hoch und befreite diesen vom Dreck. Während der Mienenarbeiter unfreundlich grunzend an ihm vorbei in die Taverne ging, konnte Bereth von Mugra und seiner Begleitung Gelächter hören. Er ignorierte sie und wollte hier nur noch weg. Aber heute schien ihm wirklich nichts gegönnt zu sein. Anscheinend wollte Mugra den jungen Frauen imponieren und war dementsprechend auf Krawall gebürstet. Doch Bereth machte sich hastig davon.
»He! Warte doch«, rief ihm Mugra nach. »Kannst du nicht einmal einen alten Freund grüßen?«
»Freund? Jedes Mal wenn du mich deinen Freund nanntest, durfte ich den Sündenbock für deine Untaten spielen oder wurde zur Zielscheibe deiner Streiche. Lass mich in Frieden!«
Doch Mugra hatte Bereth überholt und versperrte ihm nun den Weg. Die anderen hatten sensationslüstern zu den beiden aufgeschlossen, wenngleich sie sich auf sicherer Distanz hielten.
»Was ist denn mit dir los? Früher hast du immer gebettelt, bei uns dabei sein zu dürfen. Wir haben dir immer nur einen Gefallen tun wollen. Nicht wahr Duma«, heuchelte er. »Jetzt tust du so, als würdest du uns nicht einmal mehr kennen. Hatten wir den keinen Spaß zusammen?«
»Ihr hattet euren Spaß, ja. Nun lass mich vorbei. Ich muss nach Hause.«
Mugra blickte zu den beiden jungen Frauen hinüber, die gelangweilt wirkten und auf einmal war sein Tonfall schlagartig verändert, regelrecht aggressiv, während er Bereth plötzlich mit einer Hand am Kragen packte, um diesen am Gehen zu hindern.
»Du hältst dich wohl für etwas Besseres. Lebst mit deinem Vater in dieser riesigen Hütte abseits des Dorfes. Wahrscheinlich lacht ihr dort über uns ärmliche Dorfleute, darüber dass unsere Väter hart in den Mienen arbeiten müssen und nicht stinkreich sind wie ihr und sich nicht den ganzen Tag besaufen können!«
Bereth schlug die Hand des anderen weg.
»Lass meinen Vater aus dem Spiel! Wir tun nichts dergleichen. Ihr Dorfleute seid es doch, die uns nicht in Ruhe lassen wollt!«
Doch Mugra ließ nicht locker. Dieses Mal packte er sein Gegenüber mit beiden Händen. Duma wollte etwas sagen. Es reichte allerdings ein Blick seines Anführers, um ihn zum Verstummen zu bringen.
»Weshalb wohl? Habt ihr in eurem ganzen Haus den keinen Spiegel. Du bist einfach nur eine abscheuliche Kreatur. Ich habe gehört, deine Mutter hat kaum besser ausgesehen. Kein Wunder, dass die Leute über deinen Vater reden. Er muss schon ein besonders seltsamer Zwerg sein, der sich mit etwas derart Abartigem einlässt.«
Bereth spürte wie er langsam die Kontrolle über sich verlor. Er war es gewohnt, hinter seinem Rücken Sprüche über sich anhören zu müssen und er hatte gelernt damit um zu gehen. Doch in dem er seine Eltern beleidigte, ging Mugra viel zu weit und er merkte, wie dieser Zorn ihn übermannte. Bevor er jedoch in seiner Wut etwas Unüberlegtes tun konnte, fuhr eine erzürnte Stimme dazwischen.
»Mugra! Verflucht, was machst du um diese Zeit hier! Habe ich nicht gesagt, du sollst deiner Mutter helfen!«
Es war der kräftige Haan, Mugras Vater, der dem Aussehen nach den ganzen Tag in den Mienen geschuftet haben musste. Seine Laune verhieß eine schlechte Tagesausbeute.
»Lass dieses schwarzhäutige Ding gefälligst los! Du hast keine Ahnung, was solcher Abschaum alles für Krankheiten übertragen kann!«
Mugra ließ umgehend von Bereth ab. Sein Vater zog ihn von dem Sonderling weg, ohne diesen auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Du kleiner Lümmel. Es wird Zeit, dass ich dir wieder einmal Manieren beibringe. Wenn ich sage, du sollst deiner Mutter helfen, dann tu dies gefälligst auch und lunger nicht hier draußen herum!«
Das herrische Wesen von Mugras Vater duldete keine Widerrede. Der erwachsene Sohn wurde wie ein dummer Schuljunge fortgezogen. Dabei blickte dieser zurück zu Bereth. Der erzürnte Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er ihm die Schuld für alles gab und dass dieser Vorfall noch ein Nachspiel haben würde. Aber keiner schien Mugras Sache fortführen zu wollen und sie gingen alle davon. Bereth konnte dies nur recht sein.
Als er das Haus betreten hatte, fand er Terbu, wie dieser den halben Wohnbereich durchwühlte. Wahrscheinlich suchte er nach seinen Mantel. Bereth übergab ihm das Kleidungsstück.
»Wo warst du?«, fragte der Zwerg und nahm ihn verwirrt an sich.
»Im Wald.«
»Ich habe wohl kaum meinen Mantel im Wald vergessen.«
»Nein, in der Taverne. Ich bin nur der Überbringer.«
Terbu schaute seinen Sohn besorgt an. Der ganze Dreck und die Kriegsbekleidung wunderten ihn dabei noch am geringsten. Viel eher betrübte ihn der erzürnte Gesichtsausdruck. Er hatte selten gesehen, dass die blutroten Augen derart funkeln konnten. Es war fast, als würde er einem Raubtier direkt in die Augen schauen.
»Was ist denn geschehen, mein Junge?«
»Nichts!«
»Bitte. Ich bin dein Vater. Rede mit mir!«
»Es gibt nichts zu bereden, Vater. Glaube mir.«
Bereth ging entschlossen in sein Zimmer und verriegelte hinter sich die Türe. Er legte sich, noch immer von dem Streit entrüstet, auf sein Bett. Er hörte die Dielen knarren und konnte seinen Vater regelrecht hinter der Türe fühlen. Nicht nur weil der schwere Atem des Zwerges zu hören war.
Es dauerte eine Weile und Terbu ging seufzend davon. Bereth vernahm die Haustüre und setzte sich erleichtert auf, um die schmutzigen Kleider abzustreifen. Hernach machte er sich daran, den gröbsten Dreck von der Haut zu waschen, um sich wieder in sein Bett zu legen. Doch war er derart aufgebracht, dass er trotz Müdigkeit nicht ans Einschlafen denken konnte und so grübelte er noch eine Weile vor sich hin.
Der Schlaf jedoch kam überraschend plötzlich, als wollte ihn jemand in die Welt der Träume hinüber zwingen.
Bereth fand sich in tiefer Nacht in seinem Zimmer wieder. Ein bläulicher Schimmer erhellte den Raum, der aber nicht durch das kleine Fenster hineinfiel, sondern im ganzen Zimmer schwach flackerte, als würde er an den Wänden und Möbeln haften. Dabei wirkte alles so verschwommen, als wäre er während seines Schlafes kurzsichtig geworden. Selbst die massive dunkle Wandvertäfelung wirkte wie brauner Dunst, welcher nur das Gepräge der Wände trug und sich in Luft verflüchtigte, sobald man daran rührte.
Er griff unvermittelt in seine nächste Umgebung, als er feststellen musste, dass er gar keine Finger mehr besaß, es fehlten ihm sowohl Hände als auch Arme und überdies fiel ihm auf, dass er nicht im Bett lag, sondern vielmehr im Raum zu schweben schien. Sein ganzer Körper war verschwunden. Es war ihm, als wäre er ein einziges schwebendes Auge.
Er bewegte sich in Richtung des Fensters, durch welches man die dunkle Nacht erkennen konnte. Er wurde regelrecht gezogen, als wollte ihn jemand aus dem Zimmer saugen. Bevor er sich zu wehren wusste, glitt er bereits durch das geschlossene Fenster in die Nacht. Er schwebte weiter bis über das Dach seiner Behausung und nahm immer weiter an Höhe zu. Bald wurden der Wald und das kleine Bergdorf sichtbar, während er immer weiter gen Himmel stieg, bis das Dorf und seine Hütte zu einem Punkt auf dem Gebirge zusammenschmolzen. Alles wirkte aus dieser Höhe flach, selbst der Ozean, der langsam in sein Gesichtsfeld rückte, schien auf gleicher Höhe mit den weitläufigen Gebirgsketten zu sein und schon konnte er den ganzen Kontinent mitsamt seiner blauen Grenzen überblicken, bis er schließlich über einer blaugrünen Kugel schwebte, die allmählich von einer intensiven Dunkelheit verschlungen wurde.
Bereth hatte seinen Körper wieder. Das war das Erste, was er bemerkte. Wahrscheinlich war er der einzige feste Gegenstand in dieser schwarzen Unendlichkeit, wo selbst die schimmernden Sterne aufgehört hatten zu leuchten, als hätte jemand die kleinen Flammen einfach ausgepustet. Doch er kannte diesen farb- und formlosen Ort nur zu gut, denn er hatte ihn in den letzten Nächten des Öfteren ungewollt bereist, wie er ihm auch dieses Mal wehrlos entgegentreten musste.
Er hatte kaum Zeit sich mit der Situation anzufreunden, als es wieder begann und er sich hilflos einem Luftzug, der weder Wärme noch Kälte brachte, stellen musste, der ihn langsam einhüllte und immer stärker wurde, bis er ihn vom Boden, ja, durch den schwarzen Boden, der eigentlich keiner sein konnte, riss und er sich im freien Fall befand. Ohne zu wissen, wo oben und unten war, fiel er in die Dunkelheit, nur umgeben vom Wind, der seinen Leib mit sich riss und an seiner Haut zerrte. Er schrie, denn er hatte Angst davor, was passieren würde, wenn doch noch fester Grund auf ihn zu käme oder noch schlimmer, wenn er ewig so fallen würde. Doch derselbe Wind, in dem er gefangen war, nahm ihm seine Stimme und trug sie weit davon, wo sie niemand hören konnte. Dafür sprach irgendjemand zu ihm, er konnte es nun deutlich hören oder war es doch nur das Brausen des Windes, das Worte in sein Ohr säuselte?
»Wir haben dich erwählt!«
Wer bist du?, fragte er, es drangen jedoch keine Worte über seine Lippen und seine Frage blieb unbeantwortet, als er sich unvermittelt mit den Füßen wieder auf dem schwarzen Boden befand, der mit der restlichen dunklen Unendlichkeit des Ortes verschmolz.
Auf einmal wurde es wärmer und Bereth schwitzte, dabei trug er nur sein Nachthemd. Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte und die Hitze regelrecht nach ihm gierte und seine Haare versengte, roch es nach Verbranntem. Er öffnete die Augen, welche er zum Schutze vor der gewaltigen Wärme, die ihn umarmte, geschlossen hatte, und musste feststellen, dass er selbst in Flammen stand. Das flackernde Feuer züngelte an seinem Leib empor und er wollte schreien, doch Rauch trat in seine Lunge und stattdessen hustete er tonlos. Er wollte rennen, doch seine Beine waren von dem beißenden Feuer wie gefangen. Er sah sich schon am lebendigen Leibe verbrannt, als eine tiefe, raue Stimme zu ihm drang, oder war es doch nur das Zischen der Flammen, das zu ihm sprach und Worte in sein Ohr wisperte?
»Du bist der Einzige, der unsere Macht erlangen kann!«
Wer seid ihr? Warum tut ihr mir dies an?, winselte er, doch der Rauch erstickte erneut seine Worte und die Fragen blieben abermals unbeantwortet, als die Flammen erloschen und er wieder in der unendlichen Schwärze stand, dessen Kühle seinen Körper beruhigte. Er war unversehrt und um eine unnötige Erfahrung reicher.
Er dachte gerade, wie wohlig die Kälte nach diesem Schock doch war, als er nur wenige Augenblicke später gewaltig zu frieren begann. Seine Zähne klapperten und er warf sich seine Arme um seinen Körper und rieb ihn, damit er wenigstens etwas Wärme verspürte. Hinter ihm knallte etwas auf den Boden gefolgt von einem Klirren, als wäre Glas zersprungen, doch als er sich umdrehte, lagen überall kleine Eiskristalle. Bald war er von ihnen umgeben und ihr bläulicher Glanz machte die schwarze Unendlichkeit lebendig. Dann zerfielen die bereits kleinen Eisstücke in Staub, der aufgewirbelt wurde und Bereth in einer eisigen Umarmung, wie Efeu einen Baum umschlang, einschloss und seine Glieder einfror und ihn starr machte. Er wollte schreien, doch der glänzende Staub drang in seinen Mund und blockierte seine Stimme, bevor sie aus den Lippen treten konnte.
In dieser Starre blieb er wie eine in Eis gehauene Skulptur stehen, während der Eisstaub wie ein in alle Richtungen wehender Schneesturm ihn umfegte. Er hörte abermals eine Stimme, die zu ihm zu sprechen schien, oder war es nicht vielmehr das Eis, welches in seinen Ohren knackte?
»Du musst die Gebiete außerhalb deiner kleinen Welt betreten!«
Was muss ich? Wer seid ihr? Die Fragen drohten seinen Kopf zu sprengen, aber keine Worte und keine Antwort, er blieb die starre Eisskulptur.
Das Eis fing an zu schmelzen, sich zu verflüssigen und als er seine Glieder wieder bewegen konnte, hatte das Wasser sich bereits überall hin ausgedehnt und er tauchte in einem unendlichen Ozean. Bereth bekam keine Luft und er wollte an die Oberfläche schwimmen, doch er konnte nicht sagen, in welcher Richtung sie lag. Er sah nur Wasser. Er wollte schreien, doch aus seinem Munde trat nur eine riesige, tonlose Luftblase, die ebenso schnell, wie sie gekommen war, sich wieder auflöste. Er meinte, er müsste ersticken, als eine weitere Stimme zu ihm drang, oder war es das Rauschen des Wassers, welches in ihm widerhallte?
»Löse unsere Prüfungen!«
Was für Prüfungen? Lasst mich endlich hier raus, ich ersticke! Bei diesen Worten schluckte er das salzige Wasser, welches ihn fast zum Erbrechen gebracht hätte, als er sich krümmte und sich urplötzlich in der trockenen, schwarzen Unendlichkeit am Boden kauernd wiederfand. Er hustete, keuchte abartig, sog die Luft in Unmengen ein, so nah war er am Erstickungstod gewesen und so glücklich über die Rückkehr in atmungsfähige Bereiche, dass er die nächste Überraschung nicht kommen sah. Der Boden unter ihm, der kaum von der endlosen Schwärze, die ihn umhüllte, zu unterscheiden war, nahm dunkel Formen an und bekam Risse. Ein Riss wurde zu einem Spalt, dehnte sich weiter und war ein Abgrund geworden, der Bereth augenblicklich verschluckte wie ein hungriges Tier. Alles schloss sich wieder um ihn herum und er konnte sich in dem Gefängnis aus Erde, in welches er geraten war, nicht rühren, egal wie sehr er sich reckte und bewegte, selbst sein Mund konnte er nicht zu einem Schrei öffnen, so dicht war die braune Masse an ihn herangerückt. Da hörte er ein gewaltiges Knirschen der Erde, das ihm eine Botschaft übersandte.
»Bezwinge unsere Drachen!«
Verflucht sollt ihr sein!, doch sein Mund blieb blockiert und niemand konnte seine Verwünschungen vernehmen, als die Erde zerkrümmelte und sandgleich zerrann und er sich wieder im schwarzen Raum befand.
Bereth hatte genug, er wollte hier raus und fing an zu rennen. Egal wie weit er springen musste, irgendwo musste diese schwarze Unendlichkeit ein Ende haben oder zumindest einen Ort, wo diese schrecklichen Empfindungen ihn nicht erreichen konnten. Er rannte und rannte, nicht wissend wohin, bis eine graue Wolke über ihn hereinbrach und Regen auf ihn niederprasselte. Es war ihm egal, denn er hatte keine Angst vor Regen und rannte weiter. Ein Donnerschlag erschallte und danach schlug ein Blitz direkt vor seinen Füßen ein. Erschrocken fiel er zu Boden und er sah, wie die Stelle rauchte. Weitere Blitze glitten aus der gewaltigen, trüben Wolke, die über ihm zu hängen schien, und schlugen unmittelbar in seiner Nähe ein, umkreisten ihn und hinderten ihn bei jeglichen Fluchtversuchen, während das Donnergrollen wie ein Orchester des Schreckens trommelte und ihn zu einem Mantra tanzen lies.
»Erlange unsere Kräfte!«
Lasst mich in Frieden!, brüllte er aus Leibeskräften. Doch das Donnern übertönte jegliche Laute. Bereth gab ermattet auf, setzte sich einfach hin und die Wolken verließen ihn, als eine Dunkelheit einbrach, die nichts mit der Schwärze des unendlichen Raumes zu tun hatte, denn diese war einfach leer, während die neue Finsternis viel intensiver war, als würde sich ein Schatten über ihn legen, der jegliches Licht in sich aufsog und eine Stimme sprach aus dem Nichts der Düsternis:
»Mach dich auf den Weg zum Pfad der Elemente!«
Er antwortete nicht, es hatte keinen Sinn und die Dunkelheit gab einem grellen Licht den Vorrang, welches ihn blendete und er musste sich die Augen vor ihr schließen und warf den Arm vors Gesicht, um noch mehr Schutz vor dem leuchtenden Weiß, in welches sich die Unendlichkeit verwandelt hatte, zu erlangen. Und wie ein weißes Negativ brannte sich ein Schriftzug auf seine Netzhaut.
»Dein Ziel ist der Erdberg!«
Was und wo soll das Bitteschön sein?, fragte er verächtlich in das Leuchten hinein. Das Licht aber verschwand und die Unendlichkeit kam zurück. Er stand auf und klopfte sich Staub von der Kleidung, der gar nicht existierte, und ging davon. Er hatte genug gesehen und wollte es den Drahtziehern hinter dieser Schreckenswelt zeigen, auch wenn er nicht reden konnte. Doch dann packte ihn etwas am Bein und er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Der Gestank von verfaultem Fleisch trat in seine Nase und als er hinabblickte, sah er, wie sich eine Gestalt aus dem Boden grub, deren verweste Hand Bereths Bein fest im Griff hatte. Umrisse eines Gesichtes traten aus dem schwarzen Boden, welches nur noch aus fauligem Fleisch und verwesenden Hautfetzen bestand. Zwei augenlose Einbuchtungen starten ihn an und er wollte angewidert dem eisernen Griff entrinnen, als er bemerkte, wie er selber langsam zu verfaulen begann. Zuerst verrottete sein Bein, welchen das Wesen berührte, bis fast auf die Knochen, dann passierte mit seinem ganzen Körper dasselbe. Er wollte Schreien, doch seit wann konnten totes Fleisch und verwesende Knochen schreien? Der verfaulte Kopf, welcher immer noch zur Hälfte im Boden vergraben war, blickte ihn weiter ausdruckslos an und dessen stummen Worte waren augenblicklich wie in sein Gehirn verpflanzt.
»Alle weiteren Schreine werden sich fortlaufend offenbaren.«
Verschwinde! Was wollt ihr von mir? Und obwohl er keine Stimme besaß, lachte ihm das grausige Wesen zu und klapperte dabei mit den wenigen Zähnen, die ihm noch geblieben waren, um sodann im Boden zu verschwinden. Bereth war am Boden zerstört und er hätte am liebsten losgeweint, doch er war immer noch totes Fleisch. Er verfluchte diese unendliche Leere, doch sie hörte ihn nicht. Er wollte sich vorwärts bewegen, doch sein verfaulter Körper gehorchte ihm nicht, bis grüner Staub vom Himmel fiel oder was er dafür hielt.
Der grüne Dunst umhüllte ihn und gab ihm neue Kraft, während sich sein Körper regenerierte. Er fühlte sich einfach gut, obwohl gut deutlich untertrieben war, denn er hätte Bäume ausreißen können und Berge verschieben. Jetzt wurde alles besser, nun fing es an ihm zu gefallen. Diese überwältigenden Kräfte in seinem Körper waren unglaublich. Er wünschte sich alle vorherigen Wesen zurück, ob Feuer oder Eis, Wasser oder Erde, Licht oder Dunkelheit, Wind, Blitze und Donner, selbst diese verfluchte, tote Gestalt, er würde alle miteinander in den Boden stampfen. So sehr war er von seinen neu erlangten Kräften überzeugt, dass er schrie: »Kommt schon, ihr namenlosen Monster! Ich werde euch allesamt in Stücke zerreißen!«, und seine Stimme hallte gegen alle Erwartungen im Raum wider. Wenn etwas seine Hochstimmung noch verbessern konnte, dann nur diese Tatsache. Er hatte nun vor Nichts und Niemandem mehr Angst. Und eine liebevolle Frauenstimme sprach mütterlich:
»Wach auf!«
Bereth sprang aus seinem Bett, schweißtriefend und der Körper ganz verspannt. Durch das Fenster drang immer noch die tiefschwarze Nacht. Er fühlte sich ausgelaugt, aber er musste seine müden Knochen aus dem Bett schwingen und er musste sich vergewissern. Er tastete sich entlang einer der Wände in seinem Zimmer und als das massive Holz seiner Hand standhielt, sagte er laut zu sich und mit zittriger Stimme: »Ein Traum. Nur ein Traum. Nichts weiter, was einen beunruhigen sollte.« Er lachte nervös und glaubte, er würde bald durchdrehen. Er musste mit seinem Vater reden, über die Geschehnisse im Traum. Diese Mal sah er alles noch vor sich, genau wie er es durchlebt hatte. Das Ganze musste einfach eine Bedeutung haben, auch wenn er zum Klardenken gerade nicht fähig war.
»Prüfung, Drachen«, wiederholte er Erinnerungsfetzen aus dem Traum. »Erdberg, Schreine – wo und was soll dies alles sein?«
Er ging aus dem Zimmer, musste unbedingt mit Terbu reden und öffnete dessen Schlafzimmertüre. Ein Schnarchen kam aus dem hinteren Teil des großen Raumes und er schloss sie wieder verlegen. Es war noch immer Nacht und er konnte seinen Vater nicht wecken. Es war besser abzuwarten, bis wenigstens einer von ihnen dazu fähig war, klar zu denken. Und wenn er den Zwerg jetzt aus seinem Rauschschlaf holte, dann war dies sicherlich nicht der Fall.
Zurück in seinem Zimmer blickte er auf sein Bett, als würde es lebendig werden, ihn angreifen und verschlingen und ihn zurück in diesen Traum befördern. Obwohl er noch müde war, schlafen konnte er heute sicherlich nicht mehr.
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